Und plötzlich waren sie weg!

Fußballspiele mit reduzierter Zuschauerzahl in Stadien, ganz ohne Stehplätze und Gästefans sind der Anfang vom Ende der Ultra-Fankultur in deutschen Stadien.

Sie sind viele, sie sind jung, sie sind laut, sie ignorieren Regeln und sie stellen Forderungen. Die Ultras gehen all denen mächtig auf den Sack, die seit Jahren davon träumen, ein Fußballspiel zukünftig in ein luxuriöses und hochprofitables Event für Premiumkunden zu verwandeln. In der Vorstellung der Kinds, der Hopps, der Rummenigges und Mintzlaffs oder der Bosse von DFL und DFB, die mittlerweile zu reinen Eventmarketingkonzernen mutierten Vereinen und Verbänden vorstehen, sind die Ultras nur die lästige Akne am Arsch einer ansonsten scheinbar makellosen Fußballwelt. Ein paar provozierende Spruchbänder hier, ein paar verbotene Pyro-Einlagen da und schon sehen die hohen Herren die öffentliche Sicherheit in Gefahr und meinen doch nur ihre Rendite. Mit dem aktuell bestehenden Stehplatzverbot, der Reduzierung der Zuschaueranzahl und dem Verbot von Gästefans in den Stadien sind sie die lästige Akne nun fürs Erste mal los. Scheinbar.

Die Corona-bedingten Maßnahmen entziehen der in den Ligen in vielen Jahren stetig gewachsenen Jugendkultur der Ultra-Fans das gemeinsame Stadionerlebnis und somit ihr wichtigstes Fundament. Die Reaktion der Ultra-Fanclubs auf diesen de facto-Ausschluss ist Ligen-übergreifend einhellig die gleiche: kein Stadionbesuch und kein Support! Das bedeutet auch keine Choreografien, keine Fahnen und keine organisierten Fan-Gesänge. Bereits beim ersten Spieltag der Ligen am vergangenen Wochenende bekam man einen kleinen Vorgeschmack dessen, wie sich das „Stadion-Event“ ohne Ultras künftig anfühlen wird. Bei der 2-3-Niederlage des VfB Stuttgart gegen den SC Freiburg waren 8000 Zuschauer offiziell zugelassen, doch selbst dieses Kartenkontingent exklusiv für Dauerkarteninhaber wurde nicht einmal voll ausgeschöpft. Die Fans sahen in kleinen Corona-sicheren Clustern und mit Masken versehen im großen Rund verteilt in der ersten Halbzeit sicherlich kein berauschendes Spiel. Dass dann aber die zur Halbzeitpause beim Stand von 0-2 einsetzenden Pfiffe zahlreicher Fans deutlich lauter zu hören waren als die unterstützenden Gesänge einiger weniger Fans, das hat dann doch etwas überrascht.

Fanden auch hinterher nicht alle so super. Der Innenverteidiger Marc-Oliver Kempf beklagte sich im Interview über diese Pfiffe. Dabei sollte er in seiner Vergangenheit als Spieler in Stuttgart gelernt haben und noch wissen: Irgendeiner pfeift hier immer! Und dabei reden wir nicht vom Schiedsrichter. Die Bruddler-Fraktion von der Haupttribüne scheint am Samstag im Neckarstadion zahlreich vertreten gewesen zu sein. Die haben jedoch auch in den letzten Jahren immer schon beim kleinsten Anlass ihre eigene Mannschaft wegen der Nichterfüllung ihres Eventauftrags ausgepfiffen. Nur hat Kempf sie als Spieler damals kaum hören können, da die in der Regel bedingungslose Supportkulisse der Ultras und Stehplatzfans solche Pfiffe vielfach übertönte. Keine Stehplätze, keine Ultras, kein Support! Die Sache ist recht einfach auf den Punkt zu bringen. Da hilft kein Klagen über die schlechte Stimmung. Auch wenn viele Sitzplatzfans meinen, sie könnten liebend gern auf den Support von den Stehrängen verzichten und schon selbst dafür sorgen. Genau diese Stimmung der jungen Fans auf den Stehplätzen der Cannstatter Kurve machte aber doch, wenn sie ehrlich sind, einst ihre eigene Faszination vom Stadionerlebnis aus, als sie selbst in jungen Jahren zum ersten Mal dort waren.

Die Ultras nehmen allerorten ihre Verweigerung unter den gegebenen Umständen durchaus ernst. Sie werden als Gruppe auf absehbare Zeit kein Stadion besuchen. Da kaum abzusehen ist, wie lange das so noch weitergehen wird, ist die Gefahr sehr groß, dass es in der durch eine starke altersbedingte Fluktuation geprägten Fan-Kultur der Ultras irgendwann an Nachwuchs fehlen wird. Das gemeinsame Fußballerlebnis ist das sinnstiftende Element ihres Zusammenhalts. Das wurde im Frühjahr anfangs des Lock-downs vielerorts durch lokales, karitatives Engagement in Krisenzeiten kompensiert, mit Einkaufsservices und Fahrdiensten für allerhand durch Corona eingeschränkte Mitmenschen und vieles mehr. Auch solche sinnstiftenden Aktionen wie beim letzten Heimspiel von Hannover 96 gegen den KSC werden in ihrer Wirkung früher oder später verpuffen. Da der Verein beschlossen hatte, die zugelassenen 500 Eintrittskarten exklusiv den VIP- und Logenkunden zu überlassen, legten die Ultras in Hannover ihnen zum Empfang am Eingang einen roten Teppich aus und schmissen mit reichlich Spielgeld um sich. Kamelle und Sitzen ist für’n Arsch!

Wird sich der Fußballbetrieb nach Corona in den Stadien irgendwann wieder normalisieren und der Besuch uneingeschränkt möglich sein, was selbst optimistisch betrachtet in der laufenden Saison eher unwahrscheinlich ist, wird es auf jeden Fall weniger Ultras geben. Und ob die dann dort ihre geliebten Stehplätze noch vorfinden werden, das steht auf einem anderen Blatt. Eine düstere Ahnung für die Zukunft der Fußballfan-Kultur. Und plötzlich waren sie weg! Die Ultras. Wenn sich die so sehr darum bemühenden Vereine und Verbände im deutschen Fußball dann sicher wähnen, die hässliche Akne am Arsch ihrer Fußballwelt auf diese Weise endlich los zu sein, dann sollten sie eins bedenken: Radikal entfernt hinterlässt Akne hässliche, kaum zu verdeckende Narben. Akne kommt und geht, Narben bleiben für immer.

 

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