Weltpokalsiegerbesieger

Der FC Bayern behält die Liga unter Kontrolle. 6:0 gegen Dortmund. Keine Fragen offen. Die zuständige Floskel lautet: "der Liga enteilt". Wie man Bayern besiegt, demonstrierte jüngst der FC St. Pauli. Dessen Geschäftsführer Andreas Rettig - von Rudi Völler bereits mit dem Ehrentitel "Schweinchen Schlau" ausgestattet – hatte zum richtigen Zeitpunkt einen Antrag auf Beendigung der 50+1-Diskussion gestellt. Das erwischte die Neoliberalisten des Fußballs auf dem falschen Fuß. Das Thema war für's Erste vom Tisch. Richtig dumm aus der Wäsche schaute Karl-Heinz Rummenigge, ein Matthäus-Bruder im Geiste. Er bäffte in die Notizblöcke seines Hofberichterstatters Carlo Wild vom Kicker, er hätte sich schon lange "von der DFL geistig verabschiedet" und setzte im Stile einer beleidigten Leberwurst nach: "Es befremdet mich, dass ein Zweitligist, der nach meinem Kenntnisstand noch nie in einem europäischen Wettbewerb mitgespielt hat, auf einmal nicht nur eine so prominente, sondern auch dominierende Rolle einnimmt." Rettigs Sieben-Wort-Konter via Twitter: "Karl-Heinz Rummenigge war ein erstklassiger Stürmer"

In prophetischen Kreisen ist nur wenig umstritten, dass die 50+1-Regel erhalten werden muss. (argumentiert unter anderem im Bulletin vom Dezember 2017). Seither ist viel geschrieben worden. Lesenswert ist auf jeden Fall die Zusammenstellung von Christoph Biermann, der eindrucksvolle Schicksale seelenverkaufter Klubs auflistet. Nicht in der Liste enthalten sind freilich die Vereine, die dank ihrer Investoren den europäischen Fußball dominieren, unter anderem Manchester City, Atletico Madrid und Paris St. Germain. Doch auch auf die Giganten lohnt ein Blick im Zusammenhang mit 50+1. Denn die Beispiele verdeutlichen: Im galaktischen Fußball geht es keinesfalls um banale Renditen, sondern um handfesten politischen Einfluß. Über die Plattform, der der einst gut beleumundete Fußball bietet, verschaffen sich Diktatoren und anderen Despoten Zugang und Einfluss. Um Fußball geht es nur am Rande. Seit vielen Jahren läuft Atletico Madrid für Aserbaidschan Werbung. Ein Land, in der Rechtsstaat längst verloren hat. Die Gefängnisse sind voll. Die Korruption blüht. Und Atletico sorgt dafür, dass dies salonfähig werden kann.

Beispiel Manchester City. In seinem Text in 11Freunde stellt Nick McGeehan, der lange für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch tätig war, fest: "Manchester City und New York City ermöglichen es Abu Dhabi, in Macht- und Einflusszentren Fuß zu fassen. Die Clubs sind Plattformen, von denen man aus neue Geschäftsverbindungen knüpfen und alte festigen kann. Auf diese Weise verstärken sie den politischen Einfluß des Landes". Auch bei Paris St. Germain und Katar funktioniert es auf diese Weise. Der Antrieb hinter den enormen Engagements der Geldgeber ist keinesfalls die zu erwartende Rendite. Das mag vielleicht bei englischen Drittligisten noch durchgehen. Aber in der ersten Reihe stehen mehr als ein paar Dollar auf dem Spiel. Tatsächlich tut sich selbst der moderne Fußball schwer, bei Investitionen von runden 220 Millionen allein für einen Spieler, eine entsprechende Rendite abzuwerfen. Die Motivation der scheinbaren Investoren besteht in Lobby und Politik.

Der geistig verabschiedete Rummenigge und seine skrupellosen Erfüllungsgehilfen wurden von derlei Zusammenhängen noch niemals belästigt. Der FC Bayern besteht seit Jahren auf sein Trainingslager in den Emiraten. Nirgends anders kann die ideale Rückrundenform hergestellt werden. Der Islam gehört nicht zu Deutschland, außer er bringt seine Milliarden mit. So lautet die gesamtbayrische Doktrin für die Fußballheimat Deutschland. Der noch konservativere Dorfklub TSV von 1860 ist an dieser Schizophrenie bereits zugrunde gegangen. Man möchte dieses Schicksal auch allen anderen Vereinen wünschen, die sich für den Wegfall von 50+1 einsetzen.

Inzwischen bereiten die Neoliberalisten den zweiten Anlauf vor. Sie bringen die Juristen in Stellung. Insider wissen, dass der Sündenfall VfL Wolfsburg heißt. Tatsächlich ist 50+1 in Gefahr, weil die Regel vor dem Europäischen Gerichtshof wenig Chancen hat. Das liegt allerdings nicht an der Regel selbst, sie ist einigermaßen sauber formuliert. Problem sind die Ausnahmefälle. Nicht Leverkusen, der Club liegt schon seit Menschengedenken in Werkshand. Nicht Hoffenheim, der Club gehört Herrn Hopp, dagegen kann nicht mal Europa was sagen. Wolfsburg und in der Folge das merkwürdige Vereinskonstrukt Leipzig sind die Ausnahmefälle, die gestattet wurden, obwohl der juristische Boden extrem schlammig war. Mangelnde Chancengleichheit - belegt durch die tägliche Bundesligapraxis - als Argument gegen 50 + 1 ist extrem stichhaltig. Wenn sich nicht schnellstens etwas ändert, wird 50+1 darüber stolpern. Bei Wolfsburg schielten die DFL und DFB auf die Gelder von Volkswagen und schwupps... war die Ausnahme von 50 +1 gemacht. Auch bei den Getränkedosen war die Motivation identisch. Inkonsequente Regelauslegung wird bei Fußball oft bemängelt. Im Falle von 50+1 wird sie fatal enden.

Warum eine Liga unter Beibehaltung von 50+1 einmalig und spannend ist - und in der Folge auch international konkurrenzfähig - hat kürzlich ausgerechnet ein Moderator des Bezahlsenders sky aufgelistet. Maik Nöcker formulierte Kernpunkte eines einzigartigen Bundesliga-Markenkerns, unter anderem Fairness, Nachhaltigkeit, Herkunft der Gelder, Jugendarbeit und eine aktive Fanszene. Nöckers Liste verdient es, wörtlich präsentiert zu werden:

- Fairness ist das höchste Gut der Bundesliga und ich finde, das wird viel zu selten gelebt und gesagt. Das gilt für Spieler, Medien, Funktionäre und Fans. Keine Schwalben, keine Beschimpfungen von Schiedsrichtern, keine Beleidigungen. Dass beispielsweise Sergio Ramos in seiner Karriere ohne nachhaltige Sanktionen mittlerweile über 20 Rote Karten in der spanischen Liga kassiert hat, sollte in der Bundesliga unmöglich sein.
- Stadien müssen nachhaltige Konzepte zu Verkehr, Müll, Baumaterialien und Strom haben.
- Das Sponsoring hat klare Regeln, wer in der Bundesliga werben darf. Marken oder Länder, die den Terror mutmaßlich unterstützen, die Bürgerrechte beschneiden, Frauen unterdrücken, Kinder ausbeuten oder sexistisch werben, sollten nicht dazugehören. Ich finde es ehrlich gesagt höchst scheinheilig, dass Vereine Geschäftsbeziehungen mit Ländern wie Katar pflegen, während das Land von der halben arabischen Welt wegen Terrorunterstützung boykottiert wird.
- Förderung der aktiven und politischen Fan-Szene: In Zeiten von Politikverdrossenheit und Rechtsruck sollten wir stolz darauf sein, dass sich vornehmlich junge Menschen gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie engagieren. Dieser Bewegung muss die Bundesliga auch schützend zur Seite springen, wenn sich beispielsweise in Aachen die Ultra-Bewegung aus Angst auflöst, weil sie von Rechten und Neonazis im Stadion bedroht werden.
- Die Jugendarbeit muss nachhaltig sein. Mit einer selbstauferlegten Quote, dass pro Saison mindestens ein Nachwuchsspieler in den Profikader integriert wird.

Der prophetische Mitgliedsgesuch an Maik Nöcker ist bereits raus.