Bielsa leads Leeds

Fußballspiele anzuschauen, hat in Lockdown-Zeiten einen frustrationshemmenden Effekt. Ist dabei dann auch noch Leeds United mit von der Partie, ist der Therapieerfolg garantiert…

Leeds. Das ist eine dieser unscheinbaren Großstädte in England, deren Namen hierzulande jeder kennt, aber so gut wie niemand etwas darüber weiß. Übertragen auf deutsche Städte ähnlicher Größe reden wir hier etwa über Essen, eine Stadt, die in England auch jeder kennt und ebenfalls kaum jemand etwas darüber weiß. Im zweiten Weltkrieg bombardierten die Deutschen der dortigen Industrie wegen sehr gründlich die Stadt Leeds und die Engländer andersrum aus den gleichen Gründen die Stadt Essen. Sowas prägt sich ein. Und nach dem Krieg begann in Leeds und Essen, hüben wie drüben, der industrielle Niedergang. Eine weitere Parallele ist das Schicksal der örtlichen Fußballvereine. Sowohl Leeds United als auch Rot-Weiß Essen verschwanden nach erfolgreichen Zeiten im Laufe der Jahrzehnte in den Niederungen der unteren Ligen. In Essen ist das so geblieben. Anders in Leeds. Der LUFC ist dank des argentinischen Ausnahmetrainers Marcelo Bielsa wieder eine ernstzunehmende Größe in der Premier League.

Bielsa, den selbst der Star-Trainer Pep Guardiola nur ehrfurchtsvoll den „besten Trainer der Welt“ nennt, hat den Traditionsclub aus dem hohen Norden Englands zurück zu alter Größe geführt. Und das auf seine höchst eigene, ganz spezielle Art, die ihm den Spitznamen „El Loco“ eingetragen hat. Der „verrückte“ Bielsa vereint große Bescheidenheit und Volksnähe sowie eine grenzenlose Liebe zum Fußballspiel mit einer beispiellosen Expertise in Sachen Spielanalyse und in der taktischen Ausbildung seiner Spieler. Das wissen Spieler und auch die Fans sehr zu schätzen. Bielsa kommt als Trainer nämlich ebenso sympathisch rüber wie die alte Essener RWE-Legende, der Malermeister Otto Rehhagel. Er schert sich aber, anders als Rehhagel früher, auch noch um eine ausgefeilte Offensivtaktik auf dem Platz. Was dabei herauskommt, kann sich sehen lassen. Wo Leeds auf dem Platz steht, geht die Post ab. Und zwar stets nach vorn. Das hat zur Folge, dass auf jeden Fall viele Tore fallen. Und das mit den Toren, der wichtigste Kritikpunkt aller, die Bielsa tatsächlich für verrückt halten, passiert auf beiden Seiten. Die diesjährige 4-3-Niederlage gegen Liverpool und der 4-3-Sieg gegen Fulham stehen exemplarisch für Bielsas bedingungslose taktische Vorgaben. Sie beinhalten eine totale Offensive, die kaum als kontrolliert bezeichnet werden kann. Dazu gehören das permanente Unterdrucksetzen der Gegner in deren Hälfte sowie der maximale Ballbesitz auf dem Weg zum Tor. Lange Bälle sind strikt verboten. Mit dem gepflegten Doppelpass die gefährlichen Räume in der Box erobern, so lautet die Devise. Gefährlich ist das vorne allemal, und oft aber eben auch hinten.

Nach der krachenden 6-2-Niederlage am letzten Sonntag gegen Manchester United steht Leeds daher nun mit 30 Gegentoren als das Team mit der schlechtesten Abwehr dar. Da dem am 14. Spieltag aber auch bereits 24 selbst geschossene Tore gegenüberstehen, findet sich der LUFC mit 17 Punkten noch im sicheren Mittelfeld der Tabelle wieder. Das 6-2 gegen Manchester war dabei weitaus knapper zustande gekommen, als das Ergebnis es auszudrücken scheint. Der Grund ist ein entscheidendes Merkmal der Bielsa-Taktik, das Streben nach größtmöglicher Ballkontrolle, das Leeds im Spiel gegen ManU fast 60 Prozent Ballbesitz bescherte. Sie hatten Manchester eigentlich dominiert. Dazu kommen ganze 17 Torschüsse, und somit nur 9 weniger als der klare Sieger Manchester in diesem Spiel zustande brachte. Die ersten zwei Torschüsse für ManU besorgte übrigens der Mittelfeldspieler Scott McTominay gleich in den ersten drei Minuten. Und die waren zu Bielsas Leidwesen beide drin. Wenn man weiß, dass ein von Bielsa trainiertes Team letztmals 1992 sechs Tore in einem Spiel kassiert hat, kann man des Trainers Ärger über die Niederlage gut nachvollziehen.

Leeds-Spieler Patrick Bamford brachte hinterher gegenüber der BBC in seinen Statements zum Spiel das Wesentliche des Bielsa-Systems gut auf den Punkt: "Ich kann mir vorstellen, dass es für Unbeteiligte jederzeit ein großer Spaß ist, Leeds beim Spielen zuzusehen. Aber, um ehrlich zu sein, heute hätte ich einen langweiligen 1-0-Sieg vorgezogen. Aber, es ist nun Mal unsere Art, so zu spielen. Manchmal funktioniert das. Wenn du aber den besten Spielern auch nur einen halben Meter zuviel Platz gibst, dann wirst du eben zerpflückt. Wenn wir jedes Mal exakt so spielen würden, wie es der Trainer uns vorgibt, würden wir jedes Spiel gewinnen. Aber wir sind auch nur Menschen. Wir machen Fehler und manchmal kriegen wir es einfach nicht hin.“ Auch ManU-Manager Solskjaer ist offensichtlich von Bielsas Taktik bemerkenswert: „Das ist verrückt. Leeds spielt immer auf die gleiche Art. Ganz egal ob sie 4-0 führen oder 4-0 zurückliegen oder ob es noch 0-0 steht. Und das alle drei Tage, in jedem Spiel!”

Es ist doch sehr tröstlich, wenn es im Fußball noch solch verlässliche, wenn auch etwas verrückte, Konstanten gibt. Marcelo Bielsa bleibt sich und seinem System stets treu. Es ist nur seinem etwas starrköpfigen Charakter zu verdanken, dass er in der Vergangenheit sich nie allzu lange auf einem Trainerstuhl hielt. Kritik an seinem System duldet El Loco nämlich nur höchst ungern. Schon gar nicht von denen, die ihn für seine Arbeit bezahlen. Die spektakuläre Kombination Leeds/Bielsa sollte man deshalb noch solange genießen, wie es geht. Am nächsten Sonntag geht es um 13 Uhr an der Elland Road gegen Burnley wieder zur Sache. Das werde ich auf gar keinen Fall verpassen.

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