Burgos CF und seine Millionen

Burgos CF ist die Sensation der zweiten spanischen Liga. Doppelt verwunderlich, wenn man sich den Kassenstand anschaut. Dirk Segbers über einem Skandalclub, der im Moment gut dasteht. Zumindest in der Tabelle.

Der Burgos Club de Fútbol aus dem Norden Spaniens war im Oktober 2022 plötzlich und kurzzeitig europaweit Gesprächsthema. Staunend wurden Tabellen veröffentlicht, geteilt, herumgereicht. Zweite spanische Liga, 8. Spieltag, Burgos hatte zwölf Punkte gesammelt – bei einem Torverhältnis von, Achtung, 2:0. Mittlerweile ist der Klub sogar Tabellenzweiter und hat zwischenzeitlich den spanischen Rekord für Spiele ohne Gegentreffer gebrochen. Dass der Klub mit dem Aufstieg in die Primera División kokettiert, ist aber nicht das eigentliche Wunder. Ein Wunder ist, dass es ihn überhaupt noch gibt. Alles begann vor wenigen Jahren, als die argentinische Caselli-Familie in Burgos aufschlug …

Die Casellis haben eine Vision, einen Traum, wie Millionen andere Fußballfans weltweit. Sie wollen die Geschicke ihres Lieblingsklubs lenken. Familie Caselli hat dabei jedoch etwas Entscheidendes, das sie von den Millionen anderen Träumern unterscheidet: den politischen Einfluss und die nötigen Mittel, um ihre Vision in die Realität umzusetzen. Und sie sind bereit, dafür um die halbe Welt zu reisen.

Antonio Caselli wird 1968 in Villa Urquiza geboren. Der wohlhabende Stadtteil von Buenos Aires grenzt an Núñez, Heimat des Club Atlético River Plate. Casellis Vater ist Botschafter Argentiniens im Vatikan, von ihm erbt der Sohn wohl die politischen Ambitionen. Antonio wird mit 32 Jahren zum jüngsten Botschafter des Malteserordens in der Geschichte Argentiniens. Früh engagiert er sich in unterschiedlichen Funktionen bei River Plate. 2006 gibt er jedoch sein Amt im Klubsekretariat auf. Der damalige Präsident Jose María Aguilar hatte Teile der Transferrechte an jungen Talenten verhökert, darunter Gonzalo Higuaín. Caselli hält das für einen Fehler. Er positioniert sich fortan als Oppositionsführer und wittert seine Chance, das höchste Amt im Klub zu besteigen, scheitert jedoch dreimal in Folge mit seiner Initiative „Primero River“. 2009 und 2013 wird er Dritter, 2017 reicht es zum zweiten Platz bei den Wahlen, jedoch mit weit weniger Stimmen als bei den beiden Versuchen zuvor.

Antonio Caselli ist jung, noch keine 50, als er zum dritten Mal bei den Präsidentschaftswahlen scheitert. Seinen Traum zu begraben, ist für ihn keine Option. Ihm fehlt es an Praxiserfahrung – noch nie hat er ein bedeutendes Amt bei einem Fußballklub innegehabt. Diesen Mangel an Glaubwürdigkeit gilt es wettzumachen. Am besten dürfte ihm das im Ausland gelingen, wo er ein weitgehend unbeschriebenes Blatt ist. Spanien erscheint da ideal: In den Kategorien unterhalb der Profiligen wimmelt es von Klubs mit viel Tradition. Mit großen Ambitionen, schmalen Konten und viel Sehnsucht nach einer starken Hand. In der Stadt Burgos wird er fündig: Der örtliche CF wurde 1994 nach diversen Pleiten neu gegründet. Die Stadt bietet mit 175.000 Einwohnern solides Potenzial. Fußballerisch gibt es keinen nennenswerten Rivalen. Der Klub spielt in der dritten Liga, die Umwandlung in Aktiengesellschaft, in Spanien obligatorisch für einen Aufstieg in den Profifußball, ist bereits vollzogen. Das Stadion kann sich sehen lassen, die Stadt zeigt sich kooperativ in Bezug auf Renovierungspläne. Finanziell ist der Klub ordentlich aufgestellt. „Ich möchte in Burgos beweisen, dass es eine andere Art gibt, [einen Klub] zu leiten“, so Caselli 2019 im Interview mit Mundo Deportivo. „Wenn man bei River die guten Dinge sieht, die ich in Burgos mache, wird man merken, dass ich die beste Option bin.“ Im Mai 2019 erwirbt Familie Caselli 90 % der Klubanteile.

Die Casellis schaffen es, im Umfeld des Vereins eine große Euphorie zu entfachen. Zur Saison 2019/2020 senken sie die Ticketpreise, die Fans sollen im Mittelpunkt stehen. Über 5.500 Dauerkarten werden verkauft, fast doppelt so viele wie in Vorjahren. Als Ziel wird der Aufstieg in die zweite Liga innerhalb von maximal zwei Jahren ausgegeben. In einem Horizont von fünf Jahren möchte Caselli Burgos in der Primera División sehen. Ende 2019 wird Antonios Sohn Franco einstimmig zum neuen Präsidenten gewählt. Der Junior hatte seinen Vater bereits 2017 als Kampagnenchef bei der Präsidentschaftswahl für River Plate unterstützt und scheint auch ansonsten – zumindest auf dem Papier – beste Voraussetzungen mitzubringen: seit Kindheitstagen an Vaters Seite in der Initiative „Primero River“ aktiv, Inhaber des FIFA-Master in Sportmanagement und Sportrecht. Und landesweite Schlagzeilen gibt es gratis dazu. Franco Caselli wird nämlich mit 23 Jahren zum jüngsten Vereinspräsidenten der drei obersten Ligen Spaniens. „Unser Projekt ist seriös. Wir sind gekommen, um zu bleiben,“ sagt er nach Amtsantritt im Gespräch mit El País. Die Saison 2019/2020 ist da bereits zur Hälfte abgeschlossen. Burgos CF beendet sie im Tabellenmittelfeld. Ein gutes Händchen beweisen die neuen Klubbesitzer mit der Verpflichtung des jungen Sportdirektors Miguel Pérez, genannt Michu, als Profi bei Celta Vigo, Swansea und Neapel aktiv. Für die Saison 2020/21 stellt Michu eine schlagkräftige Truppe zusammen – nicht ohne dabei, trotz fehlender Einnahmen durch die Coronakrise, ordentlich Bares in die Hand zu nehmen.

Ende 2020 berichten diverse lokale Medien von gravierenden Finanzproblemen beim Klub. Die Casellis versuchen das Thema auszusitzen. Im Dezember 2020 prahlt Antonio Caselli noch in der Tageszeitung Diario de Burgos, er habe ein Angebot in Höhe von 10 Millionen Euro für den Klub ausgeschlagen. Dieser sei jetzt 15 Millionen wert. Laut der Tageszeitung ABC verspricht Caselli, in der laufenden Saison über sein Unternehmen Football Success Case 1,8 Millionen Euro beizusteuern und kündigt einen Sponsorendeal über 800.000 Euro an. Nichts davon tritt ein. Die sportlichen Erfolge überschatten in der Folge die offensichtliche Misswirtschaft. Burgos CF wird Meister seiner Drittligagruppe, in den Playoffs gelingt der ersehnte Zweitligaaufstieg. Dieser bringt jedoch weitere Verpflichtungen mit sich, ein neuer Rasen muss her und zusätzliche Upgrades am Stadion sind Vorgabe der Liga. Nur drei Tage nach dem Aufstieg verklagen die Spieler den Klub. Sie haben seit Monaten keine Gehälter mehr erhalten, auch die Aufstiegsprämie kann nicht gezahlt werden. Begleicht der Klub bis Ende Juni 2021 diese Schulden nicht, erhält er keine Lizenz für die zweite Liga, kündigt der Verband an.

Dass Burgos CF doch in der zweithöchsten Spielklasse antritt, verdankt der Klub seinen Vorbesitzern aus dem Ort, die sich bereits Ende 2020 bei Bekanntwerden der Finanzprobleme in einer Firmengruppe zusammenschließen und Finanzspritzen setzen. Auch die Entscheidende zur Lizenzvergabe. Das alles, ohne den wahren Schuldenstand zu kennen, den die Casellis verschleiern. „Im Dezember gaben die Casellis den Schuldenstand mit 190.000 Euro an, obwohl eine Kontenprüfung ihn auf 3,3 Millionen bezifferte“, so Sergio Sainz, Sprecher der Gruppierung der Kleinaktionäre, in der Tageszeitung ABC. Den alten Besitzern gelingt es schließlich, die Casellis zur Aufgabe zu überreden. Anfang Juli 2021 verabschieden diese sich auf der Aktionärsversammlung. Diplomatisch, wie die Familiengeschichte erwarten lässt, räumen die Casellis menschliche Fehler ein und entschuldigen sich sogar ausdrücklich, berichtet Marca. Die Hauptschuld treffe jedoch die Coronakrise, und das Ziel Aufstieg in die zweite Liga sei schließlich erfüllt worden. Bei der Präsentation der Finanzzahlen tritt dann das Ausmaß der Verbindlichkeiten zutage. Insgesamt sechs Millionen Euro werden geschuldet, so Marca. Zur Einordnung: Das Gesamtbudget pro Saison lag in den beiden Spielzeiten davor bei etwa vier Millionen Euro.

Die Zweitligasaison 2021/22 beendet Burgos trotz Finanzproblemen im Tabellenmittelfeld, ohne jegliche Abstiegsgefahr. In der laufenden Saison folgen die erwähnten Rekorde. Aus den fünf Minuten europaweiter Bekanntheit könnte bald mindestens ein Jahr werden – sollte am Saisonende tatsächlich der Aufstieg in die Primera División gelingen. Das bizarre Intermezzo der Casellis wäre damit wohl endgültig ad acta gelegt. Antonio Caselli trat derweil im Dezember 2021 zum vierten Mal bei den Präsidentschaftswahlen von River Plate an – und verlor, mit weniger Stimmen als je zuvor.

Der Autor und Übersetzer Dirk Segbers lebt in Miranda del Ebro in Spanien. Wie es sich gehört, steht er beim lokalen Clubs CD Mirandes in der Kurve. Kürzlich ist sein Buch über den über den Athletic Club Bilbao im Verlag Die Werkstatt erschienen. "Aus Prinzip einzigartig". Die Propheten der Liga empfehlen es uneingeschränkt zum Kauf.  

 

Beitragsbild: Franco Caselli bei der Mannschaftspräsentation zur Saison 2019/2020
Wikicommons unter Lizenz CC BY-SA 4.0

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