The professor is in town!

Manchester United plant den Club mithilfe von Ralf Rangnick und einer moderneren Variante des Fußballspiels langfristig wettbewerbsfähiger zu machen. Kann das gelingen?

Christiano Ronaldos Einwechslung bei der glücklich zustande gekommenen Punkteteilung am letzten Wochenende gegen die Blues an der Londoner Stamford Bridge steht symbolisch für das, was Manchester United und CR7 unter dem Interimstrainer Ralf Rangnick zu erwarten haben. Ronan Barney vom „Guardian“ beschrieb die Szene sinngemäß wie folgt: Nachdem CR7 sein Aufwärmprogramm sehr pflichtbewusst bereits erledigt hatte, lief er wie ein ehrwürdiger alter Don auf seinem Spaziergang entlang seiner duftenden Kamillenwiese an der Außenlinie entlang, wobei ihm jemand einen Ordner mit laminierten Seiten voll mit taktischen Anweisungen vor die Nase hielt. Auch nach zwei Jahrzehnten Karriere auf Elite-Niveau sei er sich nicht zu schade, einen flüchtigen Blick darauf zu werfen. Und doch hätte er vielleicht besser mal etwas genauer hinschauen sollen, um darin vielleicht einige handschriftliche Kommentare zu entdecken und darin möglicherweise aufschlussreiche Hinweise für seine weitere Karriere bei den Red Devils. Der 63-jährige Troubleshooter aus Deutschland, aka „Dr. Gegenpress“, habe die zukünftig im Old Trafford zu bestaunende Fußballrevolution bereits ausgerufen. 

Und dass Christiano Ronaldo darin keine Hauptrolle spielen wird, ist mehr als gewiss. Denn wer Ralf Rangnick verpflichtet, lässt sich auf sein Spielsystem ein, das im Red-Bull-Fußballkosmos gern mal als „Ralf-Ball“ bezeichnet wird, in dem für eigensinnige Spielertypen wie CR7 kein Platz ist. Warum das so ist, wird schnell klar, wenn man weiß worum es dabei geht.  Über das Spielsystem der sogenannten „Rangnick-Schule“ wurde hierzulande schon viel geschrieben. Doch so schön und kompakt ausformuliert wie in einem Interview mit Rangnicks Mentor Helmut Groß in der NZZ wurde es selten auf den Punkt gebracht:

Es geht beim Pressing und Konterfußball darum, auf jedem Fleck des Platzes bei Ballbesitz des Gegners diesen in Überzahl zu attackieren. Situativ Überzahl zu schaffen, dem Gegner die Passwege zuzustellen, ihn mit einer plötzlich erhöhten Dynamik zu überraschen. Aus einer solchen Verdichtung entsteht Energie, eine Rasanz, die dann kaum noch zu verteidigen ist. Der Angriff erfolgt schnell und konsequent nach vorn, aber nicht in der Breite, mit Außenverteidigern, sondern strikt vertikal mit einer Raute im Mittelfeld. So breit wie nötig und so steil wie möglich. Unnötiger Aufwand soll vermieden werden. Querpässe sind eigentlich ein Sakrileg, aber eine eher lässliche Sünde, wenn es denn dazu dient, die Lücke zu finden. Und dieser Fußball verlangt nach ganz speziellen Typen. Es erfordert eine hohe Auffassungsgabe und die Laufbereitschaft muss enorm sein. 

Das passt so gar nicht zu Ronaldo. Und man braucht nicht viel Fantasie sich vorzustellen, was für eine Herkulesaufgabe sich Ralf Rangnick aufgebürdet hat, diese Art von Fußball in die DNA eines Vereines wie Manchester United einzupflegen und ebenso wenig, sich auszumalen, wie er daran sisyphusmäßig scheitern könnte. Dabei spielt es keine Rolle, wie erfolgreich der „Ralf-Ball“ schon seit vielen Jahren in Deutschland und Österreich praktiziert wird und auch nicht, dass Star-Trainer wie Chelseas Thomas Tuchel und Bayerns Julian Nagelsmann, oder auch Marco Rose, Markus Gisdol, Roger Schmidt und Adi Hütter ihr Spielsystem erfolgreich der Rangnick-Schule entlehnt haben. Tuchels Einstieg in England mit dem sofortigen Champions-League-Sieg bei Chelsea ist noch am ehesten geeignet auf der Insel Interesse am Ralf-Ball zu wecken. Manchester United sollte jedoch von Rangnick keinen solchen Messias-Effekt erwarten. Zu inhomogen erscheint der Kader, um mit ihm die komplexen Anforderungen des „Ralf-Balls“ in kürzester Zeit umsetzen zu können. Cristiano Ronald dürfte nicht der einzige ManU-Spieler sein, mit dem die Umsetzung des Spielsystems sich äußerst schwierig gestalten wird. „Zu viele Häuptlinge und zu wenig Indianer!“ Man sagt Rangnick ebenfalls nach, dass er mit dem in vielen Clubs gepflegten Star-Kult wenig anzufangen weiß. Fußball werde nicht von Individuen gespielt, sondern von einem perfekt funktionierenden Kollektiv. Der Star ist die Mannschaft etc. p.p. 

In der englischen Berichterstattung wurde nach ManUs Remis gegen Chelsea vielfach spekuliert, dass die sehr ungewöhnliche Aufstellung, mit einem defensiv agierenden Mittelfeld und ohne Cristiano Ronaldo, bereits auf eine Intervention von Ralf Rangnick zurückzuführen sei. Die von Carrick annoncierte Aufstellung und die daraus resultierenden taktischen Konsequenzen seien vollständig anders als alles bisher Gesehene. Es spricht alles dafür, dass der Glazer-Clan Ralf Rangnick alle Freiheiten gewährt hat, vollkommen neue Strukturen bei ManU aufzubauen, zunächst als Manager und danach als Berater. Allen Beteiligten dürfte dabei klar sein, dass dies nur als langfristig geplantes Projekt funktionieren kann. Doch bereits bevor Ralf Rangnick überhaupt das erste Mal auf der Trainerbank Platz genommen hat, sind auch die ersten Kritiker dieses Wandels schon zu vernehmen. 

Mit viel Häme werden dabei in der Presse Dinge kolportiert, die Rangnick auch in Deutschland schon lange begleiten. „Fold your Hands! The professor is in town!“ Er sei ein sturer Besserwisser, der versuche, seine Idee vom Spiel gegen alle Widerstände durchzusetzen. Er forme Spieler zu athletischen Maschinen um, die wie kleine Rädchen in einem Getriebe zu funktionieren haben und exakt seinen Vorgaben folgen. Das funktioniere nur mit jungen, in hohem Maße belastbaren Spielern, die es nach seiner Fasson zu formen gelte. Rangnick hasse zudem unflexible Strukturen und Stillstand. Der Umstand, dass er seiner Karriere immer mal wieder den Job wechselte, weil er mit seinen Arbeitgebern über Kreuz lag, wird dazu gern angeführt. Und es bräuchte für Rangnicks Mission bei Manchester United tatsächlich so etwas wie eine Revolution. Zu mächtig seien die gewachsenen Strukturen. Es sei dazu kaum vorstellbar, dass die Trainerlegende Sir Alex Ferguson solchen Veränderungen taten- und sprachlos zusehen werde. 

Ferguson könnte sich für Ralf Rangnick tatsächlich noch als das größte Hindernis beim Umbau des Clubs erweisen. Er ist dort immer noch allgegenwärtig. Als bronzenes Denkmal in Lebensgröße vor dem Old Trafford und mit seinen jahrzehntelangen Verdiensten stets in den Köpfen der ManU-Fans präsent. Als Rangnicks Vorgänger Ole Solskjaer 2018 den Trainerjob in Manchester übernahm, wurde ihm der „Sir“ sicherheitshalber noch als Berater an die Seite gestellt. Undenkbar bei Ralf Rangnick. Es ist trotzdem im Grunde genommen völlig egal wer bei Manchester United Manager wird, der Geist Alex Fergusons sitzt auf jeden Fall immer neben ihm auf der Bank. Vermutlich wäre dort einer von Rangnicks zahlreichen Adepten viel besser aufgehoben, da sie den „Ralf-Ball“ mit viel Erfolg längst nicht so dogmatisch interpretieren wie der „Professor“ selbst. 

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