Das Saarland. Endliche Weiten.

Kleines Bundesland. Große Geschichte. Ab 1950 sorgar kurz Mitglied bei der FIFA. Damals, als das noch keinen Imageschaden verursachte. Heute ist das Saarland nur drittklassig. "Nur?" Das Saarland würde mir was husten. Elversberg ist Tabellenführer. Für Saarlandkenner kommt der Höhenflug nicht überraschend. Autor Carsten Gier kennt den Saarfußball wie kein Zweiter. Für sein Buch "Fußballheimat Saarland" musste sich der Arme auf 100 Orte beschränken. Seine Auswahl bewegt sich von WM-Qualifikation bis Kreisklasse. Von Uwe Klimaschefski bis Jupp Derwall. Von Blieskastel bis Mettlach. Und bevor wir es vergessen: Fußballheimt Saarland ist erschienen im Arete Verlag, kostet 18 Euro und ist unter Propheten uneingeschränkt zu empfehlen.

Carsten, du kennst das Saarland in und auswendig. Du hast so viele Grounds abgeklappert. Gab’s was, das Dich bei der Recherche zum Buch selbst überrascht hat?

Die Fußballheimat-Reihe präsentiert ja pro Band genau 100 Einträge, aber in meinem Saarland-Band sind nur etwa die Hälfte davon Sportplätze oder Stadien. Nicht etwa, weil es im Saarland nicht mehr gäbe, sondern weil ich auch von anderen Objekten oder Orten erzählen wollte. Ehemalige Sportstätten, Denkmäler, Industrieanlagen, Gebäude mit besonderer Historie usw. Fußballgeschichte ist ja, wir „Zeitspieler“ wissen das, immer auch Sozialgeschichte. Und die ist im Saarland eng mit der Industriegeschichte verbunden, mit Kohle und Stahl. Ich wollte daher nicht nur Sportplätze zeigen (die zudem während der Recherche meist geschlossen waren, weil sie genau in die Lockdown-Monate ohne Spielbetrieb fiel), sondern auch andere Geschichten aus der saarländischen Fußballwelt erzählen. Denn davon gab es reichlich, und einige davon habe ich erst während der Recherche kennengelernt.

Wer ist eigentlich der älteste Fußballklub im Saarland? Wo nahm die Kickerei ihren Anfang?

Der Fußball kam erst vergleichsweise spät in die Saar-Region. Die ersten Fußballvereine bildeten sich im heutigen Saarbrücken, das um das Jahr 1900 übrigens noch aus drei eigenständigen Städten bestand (die ehemalige Residenzstadt Alt-Saarbrücken, das kaufmännisch geprägte St. Johann und die Industriestadt Malstatt-Burbach mit Gruben und Stahlwerken). Um das Jahr 1900 gab es in Saarbrücken erste Fußballmannschaften, meist in Ballspielabteilungen von Turnvereinen. In St. Wendel gab es 1896 ein Turnfest, auf dem dieses neuartige Ballspiel namens Fußball präsentiert wurde. Das könnte das erste Fußballspiel auf saarländischem Boden gewesen sein. Ganz sicher ist das aber nicht, und ob das wirklich Ähnlichkeit mit dem hatte, was wir heute unter Fußball verstehen… keine Ahnung. Vermutlich nicht. Der älteste heute noch existierende Club ist tatsächlich der 1. FC Saarbrücken, der auf den Vorkriegsverein FV Saarbrücken zurückgeht. Der wiederum entstand aus einer 1903 beim TV Malstatt gegründeten Fußballabteilung, die sich 1907 selbständig machte. Im Stadtteil Malstatt (saarländisch: „Molschd“) ist der FCS ja noch heute verankert. Nur unwesentlich jünger sind der SV Saar 05 und die Sportfreunde 05 Saarbrücken, deren Gründungsdatum ersichtlich sein sollte. Borussia Neunkirchen stammt auch aus dem Jahr 1905. Nur unwesentlich jünger ist zum Beispiel der SC Altenkessel aus einem typischen Bergmannsdorf.

Die Region hatte ihr beste Zeit als mit Kohle und Stahl Geld zu verdienen war, an welchen Orten ist noch was davon übrig?

Eine produzierende Eisenhütte ist noch die 1685 gegründete Dillinger Hütte. In Völklingen sind die Hochöfen zwar stillgelegt und die Hütte ja bekanntlich inzwischen UNESCO-Weltkulturerbe, aber es gibt hier weiterhin Stahlproduktion und -verarbeitung. Die anderen Hütten in Neunkirchen, Burbach und am Halberg sind lange stillgelegt, und auch viele andere metallverarbeitende Betriebe existieren nicht mehr: In Bous, meinem Heimatort, gab’s ein Röhrenwerk von Mannesmann, auf dessen Gelände heute ein Elektrostahlwerk produziert – allerdings mit deutlich weniger Mitarbeitern als Mannesmann früher. Speziell in Neunkirchen und Saarbrücken-Burbach sieht man auch gut, wie schwierig sich der Strukturwandel nach dem Verschwinden der Schwerindustrie gestaltet. Auch der Bergbau ist ja seit 2012 Geschichte; kurz vorher gab es dieses große durch den Kohleabbau verursachte Erdbeben. Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, das mitzuerleben – mein Heimatort ist nur zehn Kilometer vom damaligen „Epizentrum“ entfernt. Sowas muß ich nicht unbedingt nochmal erleben… Für den Bergbau wurde vor ein paar Jahren auf der Halde der Grube in Ensdorf das Saar-Polygon errichtet, eine begehbare Großskulptur. Wer mal in der Gegend ist, sollte dort hinaufgehen: Von oben hat man eine großartige Aussicht. Und das Glückauf-Stadion des FC Ensdorf liegt direkt am Fuß der Halde.

Gibt’s eigentlich ein traditionelles saarländisches Derby?

Als Saar-Derby wird man heute wohl Saarbrücken gegen Homburg ansehen. Früher war es eher FCS gegen Borussia Neunkirchen, und noch früher das Duell zwischen dem eher aus dem Arbeiter-Umfeld stammenden 1. FC bzw. FV Saarbrücken und dem eher bürgerlichen SV Saar 05. Vermutlich wird man heute auch das Spiel FCS gegen Elversberg als Saar-Derby promoten, aber als Anhänger der Neunkircher Borussia betrachte ich Elversberg eher als Emporkömmling und daher nicht für satisfaktionsfähig bzw. derby-würdig. ;-)

Den 1.FCS kennt jeder. Gab’s eigentlich eine Zeit, in der Saarbrücken nur die zweite Geige spielte?

Sportlich ja, denn mindestens zwischen 1956 und 1970 war Borussia Neunkirchen weitaus erfolgreicher, als mehrfacher Meister in der Oberliga Südwest, DFB-Pokalfinalist und mit drei Jahren in der Bundesliga. Aber eigentlich war der FCS immer der saarländische „Hauptstadt-Club“, der stets die größte mediale Aufmerksamkeit hatte, selbst wenn andere Vereine auf Augenhöhe agierten (was ja neben Neunkirchen auch auf Homburg zutraf und inzwischen für Elversberg gilt). Der FCS hatte immer auch die besseren Verbindungen in die Politik und die Sportpolitik - und mit DFB-Präsident Hermann Neuberger ja auch einen langjährigen Unterstützer.

Wo kommt denn Elversberg her? Hat das auch was mit Kohle und Stahl zu tun?

Ja und Nein. Der Ort schon, der Verein nicht. Elversberg wurde erst im 19. Jahrhundert gegründet, als Bergarbeitersiedlung für die umliegenden Steinkohlegruben, vor allem die Grube Heinitz. Die SVE – es heißt übrigens „die SVE“ und nicht „der SVE“, weil der Vereinsname Sportvereinigung Elversberg ist – ist aber kein typischer „Kumpel-Club“, wie man ihn aus dem Ruhrgebiet kennt, Erkenschwick, Sodingen oder Schalke zum Beispiel. Die gab es im saarländischen Bergbaurevier zwar auch, aber längst nicht so erfolgreich. Schon mal vom VfB Luisenthal oder von Germania Göttelborn gehört? Eben... Hinter den Erfolgen der SV Elversberg steckt wesentlich Frank Holzer, der lange Vereinspräsident war und mit seiner Firma Ursapharm seit vielen Jahren Sponsor des Vereins ist. Holzer spielte früher für den FCS in der 2. Liga Süd und für Braunschweig in der Bundesliga und ist heute noch Aufsichtsratsvorsitzender im Verein. Vereinspräsident ist nun sein Sohn Dominik. Ohne Holzers Unterstützung wäre die SV Elversberg nicht da, wo sie heute ist.

Gehen wir in die unteren Klassen: Wo liegt Dein Lieblingsground?

Ohne Zögern: Das Ellenfeld! Schmerzhaft genug, daß das inzwischen bei „untere Klassen“ auftauchen kann, aber in der Saarlandliga ist man nun mal, es läßt sich leider nicht leugnen, ziemlich weit weg vom großen Fußball. Aber unabhängig von der Liga, in der die Borussia spielt: Das Stadion ist so schön und hat so viel Flair und Atmosphäre – da kommt im weiten Umkreis nichts ran. Jedenfalls für Stadionromantiker wie mich. Es stammt, bis auf die Haupttribüne, fast unverändert aus der Mitte der 60er Jahre und ist das einzige Bundesligastadion, das sich aus der Zeit der Bundesliga-Gründung im damaligen Zustand erhalten hat. Wenn es sich ergibt, bin ich auch gern auf dem Sportplatz Schafbrücke in Bous, meinem Heimatort. Der bietet sogar überdachte Sitzplätze: Zwei Reihen auf Holzbänken.

Du schreibst von grenzenüberschreitendem Fußball? Wo ist denn das passiert und warum?

Das ist an vielen Stellen passiert. Das Saarland ist nun mal seit jeher eine Grenzregion und teilt das Schicksal mit dem benachbarten Lothringen. Lothringische Clubs, zum Beispiel aus Metz oder Saargemünd, wurden ab 1940 zum Beispiel in den deutschen Spielbetrieb eingegliedert. Nach dem Krieg, in der Autonomiezeit, stand das Saarland dann unter französischer Verwaltung, und die Franzosen nahmen auch Einfluß auf den Fußballspielbetrieb. Auf französischen Druck mußten die Saar-Vereine zum Beispiel 1948 die Oberliga Südwest verlassen und in der von der französischen Verwaltung gegründeten Ehrenliga spielen. Der FCS trat stattdessen lieber außer Konkurrenz in der zweiten französischen Liga an und hätte dort, wären die Ergebnisse offiziell gewertet worden, wohl auch die Meisterschaft erreicht. Ein Aufstieg in die erste französische Liga war aber kein Thema; das wäre ein Politikum gewesen in einer Zeit, in der das Saarland zwischen eigener Autonomie, Deutschland und Frankreich umstritten war. In jüngerer Zeit gab es dann zwei Amateurvereine (Habkirchen und Klarenthal-Krughütte), die ihren Spielbetrieb auf Plätzen in Frankreich absolvierten, wofür ziemlich hohe bürokratische Hürden zu überwinden waren. Das waren aber jeweils zeitlich begrenzte Aktionen. Aber so kamen mehrere Einträge aus Frankreich in die „Fußballheimat Saarland“. Ich fand das sinnvoll; wenn man über das Saarland schreibt, kann man nicht gut an der Grenze haltmachen.

Irgendwas zur saarländischen Nationalmannschaft und zum Länderspiel gegen Deutschland?

Irgendwas? Wo soll ich anfangen? Da könnte ich jetzt endlos erzählen, aber das will keiner. Also nur so viel: Vermutlich ist ja gar nicht mehr flächendeckend bekannt, daß das Saarland zwischen 1950 und 1956 eine eigene Nationalmannschaft hatte. Die absolvierte 19 offizielle Länderspiele, zumeist Freundschaftsspiele, weil es ja weitgehend sinnfreie Turniere wie die Nations League noch nicht gab. Auch in der WM-Qualifikation 1954 war das Saarland dabei, in einer Qualifikationsgruppe mit Norwegen und Deutschland. Das Hinspiel, in Stuttgart übrigens, hatten die Deutschen schon mit 3:0 gewonnen. Das Rückspiel im Saarbrücker Ludwigspark im Frühjahr 1954 war dann auf jeden Fall einer der größten Tage in der saarländischen Fußballgeschichte, auch wenn sich die Walter-Elf schließlich mit 3:1 durchsetzen konnte. Im Ludwigspark waren etwa 53.000 Zuschauer – bei einer offiziellen Kapazität von 35.000. Das Spiel war politisch hoch brisant, weil es genau in die Zeit fiel, als Frankreich und Deutschland sich um den Einfluß im Saarland stritten, das Saarland um Autonomie bemüht war, während Deutschland ein autonomes Saarland nicht wollte und den Anspruch auf Rückgliederung der Region nie aufgegeben hatte. Das gesamte Spiel und sein Umfeld sollten daher unpolitisch sein, darauf wurde peinlich genau geachtet: Keine Länderflaggen, keine Nationalsymbole, keine Hymnen. Das Saarland hatte nämlich, wie jedes ordentliche eigenständige Land, seine eigene Hymne: Das Saarlandlied.

- Du hast das Ellenfeld in Neunkirchen erwähnt als mythischen Ort. Hast du weitere Tipps?

Es gibt im Saarland nicht viele sehr alte Sportplätze und auch keine alte Holztribüne wie zum Beispiel am Erbsenberg in Kaiserslautern. Und eine kuriosen Bau wie die Mikro-Tribüne in Fischingen, die kennen sollte, wer die „Fußballheimat Württemberg“ gelesen hat, habe ich leider auch nicht gefunden. Der Saarbrücker Kieselhumes ist einen Besuch wert, auch wenn das Stadion früher deutlich größer war und vor einigen Jahren von ursprünglich 35.000 auf offiziell 12.000 Plätze zurückgebaut wurde. Saar 05 spielt hier, zieht aber so viele Zuschauer in der Saarlandliga nicht unbedingt an… Schön finde ich auch das Schaumbergstadion des VfB Theley mit seiner großen Stehplatztribüne aus den Regionalligajahren des Vereins, das schon erwähnte Glückauf-Stadion des FC Ensdorf und das Stadion in Völklingen. Auch in Hasborn und Schiffweiler gibt es sehr nette Anlagen, und das FC-Sportfeld (das Stadion neben dem Ludwigspark) ist auch einen Besuch wert.

Carsten Gier ist nicht nur Autor sondern auch lange Jahre Prophet unserer Plattform. Er wuchs in Bous/Saar auf und arbeitet heute hauptberuflich als Software-Entwickler. Nebenbei schreibt und fotografiert er für das Zeitspiel-Magazin für Fußball-Zeitgeschichte, verfasst Beiträge für die Buchreihe Zeitspiel-Legenden und unterhält eine Webseite über die Oberligavereine im Südwesten (www.suedwest-fussball.de).

"Fußballheimat Saarland" ist in diesem Jahr im Arete Verlag erschienen. 

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