Der Tuchel-Thomas

Über die bemerkenswerte Karriere eines Trainers, der es trotz unbestreitbarer Erfolge nirgendwo jemand recht zu machen scheint.

Auf nach London! Der gerade erst bei Paris Saint Germain trotz ansehnlicher Erfolge geschasste Thomas Tuchel übernimmt umgehend den Managerposten beim Londoner Big-City-Club Chelsea FC. Der Abramovich-Verein blieb bisher mit der eigenen Legende Frank Lampard als Coach trotz immenser Investitionen in neue Spieler weit hinter den Erwartungen zurück. Lampard habe es nicht verstanden, die teuer in der Bundesliga eingekauften Timo Werner und Kai Havertz in das Mannschaftsgefüge einzubinden, schreibt die deutsche Sportpresse. Die etwas weniger auf teutonische Beiträge fixierte englische Presse sieht den Mangel überwiegend in Lampards etwas limitiertem taktischen Repertoire.

Tatsächlich spielt der Chelsea FC momentan angesichts seines höchst renommierten Kaders weit unter seinen Möglichkeiten. Selbst der nicht sonst so leicht zu beeindruckende Liverpool-Coach Jürgen Klopp hatte noch Anfang Dezember Chelsea zum absoluten Meisterschaftsfavoriten auserkoren. Die Blues hätten den größten Kader und großartige Spieler, die nach einem holprigen Start gut zusammenspielten - sie seien voll dabei, so Klopp. Zudem habe das Team von Cheftrainer Frank Lampard unglaubliche Möglichkeiten, in Spielen zu wechseln und auch zu rotieren. Klopps Statement fiel in eine Phase, in der Chelsea mit neun Spielen ohne Niederlage bestens dastand. Danach lief es eher nicht mehr so rund und Abramovich zog nun, nach 19 Spielen auf Platz 9 abgerutscht, die Trainerreißleine. Oder vielleicht auch Marina Granovskaia, die Vertraute des Oligarchen und seit 2013 Direktorin des Fußballclubs, der schon zuvor viele Differenzen mit Lampard nachgesagt wurden.

Thomas Tuchel kann Lampards Schicksal sicherlich nachfühlen. Seiner Entlassung bei PSG gingen, dem Vernehmen nach, zahlreiche Scharmützel mit dem Pariser Sportdirektor Leonardo voraus. In einem Interview fand Leonardo nach dem Rausschmiss harte Worte für Tuchel: "Wir haben einen sehr klaren und geraden Kurs verfolgt. Und wenn ein Mann von dieser Linie abweicht, ist es unsere Pflicht, schnell zu unserer Linie zurückzukehren. Entweder passt sich die Person an oder wir ändern die Person. Deshalb wäre eine Vertragsverlängerung ohnehin nicht infrage gekommen.“ Nun ist ja das Ansinnen, eine Person ändern zu wollen, ohnehin schon ein Ding der Unmöglichkeit. Und von einem Trainer wie Thomas Tuchel eine Anpassung, sprich eine Änderung seiner Arbeitsweise zu fordern, ist mindestens ebenso aussichtslos. Wer einen der erfolgreichsten Trainer der Vereinsgeschichte so abservieren kann, der muss ziemlich dicke Eier haben oder, er hat ein paar große Geldsäcke hinter sich, denen selbst das Beste nicht gut genug ist und die ihm deshalb den Rücken stärken. Auf Leonardo Nascimento de Araújo trifft beides zu.

Thomas Tuchel ist nicht dafür bekannt, große Kompromisse einzugehen. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum er hierzulande noch nie zu den Publikumslieblingen seiner Zunft gehörte. Es umgibt ihn eine Aura der Unnahbarkeit, die vor allem daher rührt, dass er sich nie in die tiefsten Niederungen der Boulevardpresse hinab begeben hat und auch selten über etwas anderes als Fußball spricht. Und der Boulevard bestimmt den Takt, im großen Sympathieorchester der Fußballindustrie. Obschon ihn viele Fans bei seinen Trainerstationen in Mainz und Dortmund dank beachtlicher Erfolge schnell zum Volkshelden ausgerufen hatten, verweigerte er konsequent seinen Auftritt auf allen allzu folkloristischen Nebenschauplätzen. Als Tuchel 2015 in Dortmund nach einem „Sabbatjahr“ das Amt von Jürgen Klopp übernahm, dem personifizierten „Rubbel-die-Katz vom Borsigplatz“, dachten angesichts seiner spindeldürren Figur und seines asketischen Lebenswandels viele sofort, dass das nicht gutgehen könne, das mit dem „dünnen Mann“ beim BVB. Er belehrte sie eines Besseren. Mit seiner fast schon bürokratischen und an Besessenheit grenzenden Akribie und mit viel Liebe für jedes taktische Detail hob er den Dortmunder Angriffsfußball auf ein neues Niveau. Tuchel, seine Spieler und sein System passten perfekt zusammen. Am Ende der Saison 2015/16 wählte ihn die VdV zum Trainer der Saison.

Das professionelle Urteil der Spielergewerkschaft hat leider bei der öffentlichen Wahrnehmung in Sachen Fußball nicht allzu viel Gewicht, wenn der Meister am Ende trotzdem Bayern München heißt. Der innovativste Fußball ist nicht immer der erfolgreichste. Spätestens als dann eine Saison später, 2017, der Aufsteiger RB Leipzig dank dem Mastermind Rangnick und seinem Trainer Hasenhüttl ebenso innovativ unterwegs war und Dortmund auf Platz 3 verdrängte, müssen beim BVB-Boss Watzke die ersten Zweifel an seinem Trainer gekommen sein. Vermutlich ebenso bei einigen seiner Stammspieler, die vereint mit Watzke und vor allem dem Boulevard mehr und mehr glaubten, trotz hervorragender Zweijahresbilanz samt CL-Teilnahme ohne Thomas Tuchel besser dran zu sein. Das Ende ist bekannt. Tuchel überwarf sich mit Watzke, weil der meinte, der Mannschaft sei kurz nach einem überstandenen Bombenattentat ein CL-Spiel durchaus zuzumuten. Tuchel war anderer Meinung, blieb argumentativ konsequent bei seiner Linie und musste nach massiver Kritik an Watzke und dem Verein schließlich gehen. Wie auch jüngst in Paris setzten sich damals in Dortmund die am längeren Hebel durch.

Es wäre doch höchst interessant, einmal zu sehen, was Thomas Tuchel auf international hohem Niveau zu leisten vermag, wenn man ihm die Chance gäbe, ein Team mal ein bisschen länger als zwei oder drei Jahre zu betreuen. Wenn er es denn allen mal recht machen könnte. Roman Abramovich hält jedenfalls schon mal große Stücke auf ihn. Wenn es dem Tuchel-Thomas gelänge, Chelsea dieses Jahr wieder auf Kurs und gar zur Meisterschaft zu bringen, stünde dem vermutlich nicht viel entgegen.

 

 

 

 

 

 

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