Despoten unter sich

Die Fifa hat Russland bis auf Weiteres von allen Wettbewerben suspendiert. Hat Putins Krieg gegen die Ukraine die moralische Werteskala der Fußballverbände etwa zurechtgerückt?  Eher nicht!

Kaum hatte der Krieg in der Ukraine mit einer großangelegten Offensive Russlands begonnen, preschte der polnische Fußballverband vor und sagte die Teilnahme an Qualifikationsspielen gegen Russland ab. Die in Russland wohlgemerkt, und zwar aus Sicherheitsgründen. Die ebenfalls in der Qualifikationsgruppe für die WM in Katar mitspielenden Schweden zogen nach und weigerten sich ebenfalls gegen Russland anzutreten und zwar egal wo. Tschechien, der vierte Qualifikant im Bunde, schloss sich dieser sportlichen „Sanktion“ Russlands an. Das ist aller Ehren wert. Und was sagte Infantino dazu? Das sei vollkommen unnötig, denn bis zu den Qualifikationsspielen Ende März sei „die Situation“ ohnehin vermutlich „bereits gelöst“. Sprich, der Krieg durch Putin längst gewonnen und vorbei. Der Proteststurm ließ nicht lang auf sich warten. Zu frisch sind noch die Bilder in den Köpfen, auf denen Infantino sich als intimer Duzfreund Putins bei unterschiedlichsten Gelegenheiten rund um den Sport in den letzten Jahren mit ihm auf Augenhöhe wähnte. Despoten unter sich. Der Sport, das Geld und die Macht bedingen sich seit jeher gegenseitig und die Moral hat in einem solchen Gefüge keinen Platz.  Ebenso wenig wie in einem Krieg. Das Eine erfordert wie das Andere eine gehörige Portion Skrupellosigkeit, Gier sowie Menschenverachtung und geht über Leichen. Der Missbrauch von Macht scheint grenzenlos möglich. 

Der eine Despot, Putin, hat mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine nun aber offensichtlich eine Grenze überschritten. Seine Gründe für den Krieg waren von Beginn an fadenscheinig. Sein Streben nach mehr Macht und Einfluss in der Region sowie der Vereinnahmung der reichen Ressourcen des Nachbarlandes sind offensichtlich. Russland führt einen Krieg gegen unschuldige Menschen, in dem es nur um Macht und Geld geht. Damit ist Putin zu weit gegangen. Die Zeiten, in denen der Krieg für die Nationalstaaten Europas noch als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln galt, glaubte man in Europa längst überwunden. Ebenso die Zeiten des Kalten Krieges, in denen nur das atomare Gleichgewicht des Schreckens zwischen zwei sich feindlich gegenüberstehenden Blöcken das Risiko eines Krieges aufgrund der Unkalkulierbarkeit auf ein Minimum reduzierte. Ob in West oder Ost, die in den Fünfzigern und Sechzigern der Nachkriegszeit in Europa geborenen Menschen lebten seit dem Ende des kalten Krieges in den Neunzigern in der sicheren Hoffnung, als allererste Generation in der Geschichte Europas ein ganzes Leben in Frieden und vollkommen frei von Krieg und Elend führen zu dürfen. Für jüngere Generationen ist das vermutlich nur schwer nachzuvollziehen, dass das zuvor keiner einzigen Generation vergönnt war. Doch mit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde diese Hoffnung zerstört und ins Ungewisse verkehrt. Es herrscht Angst. Je näher das Kriegstreiben und je näher das Leid und der Tod, umso größer die Angst. Egal wie dieser Krieg endet, danach wird in Europa nichts mehr so sein wie zuvor. Die Skrupellosigkeit, Gier und Menschenverachtung, die zu diesem Angriffskrieg führten, haben einen Namen: Putin. Und seine Landsleute werden ihn früher oder später dafür hassen.

Der andere Despot, Fifa-Präsident und Putin-Freund Infantino, betrachtete diesen Krieg in der Ukraine noch bis vor ein paar Tagen ganz unverhohlen als kleines Problem, das sich doch bis zur Qualifikationswoche Ende März sicherlich noch lösen ließe. Das Problem bestand für ihn nur darin, dass der Boykott der Spiele des WM-Qualifikanten Russlands einen sehr schlechten Einfluss auf die Geschäfte bei der im Winter in Katar stattfindenden WM haben könnte. Mittlerweile hat die Fifa offiziell den Ausschluss Russlands von der WM-Qualifikation vermeldet. Infantino fürchtet offensichtlich die moralische Kategorie, die weltweit zu Protesten gegen den Krieg Russlands in der Ukraine geführt hat. Wohlwissend, dass die Skrupellosigkeit, Gier und Menschenverachtung, mit denen die Fifa die Veranstaltung der WM in Katar gegen alle Bedenken und trotz tausender Todesopfer auf den Baustellen durchgedrückt hat, ebenfalls zum Subjekt weltweiter, moralischer Verachtung taugen. Und auch hier bekäme der Verursacher des Dilemmas schnell einen Namen: Infantino. Katar ist weit entfernt, das Leid und der allgegenwärtige Tod auf den Baustellen der WM ebenso. Auch Katar führt nichts anderes als etwas wie einen "Krieg" gegen unschuldige Menschen, in dem es nur um Macht und Geld geht. Es fehlt weltweit nicht mehr viel bis zu der Erkenntnis, dass auch ein Boykott der WM in Katar für viele Teilnehmerländer in moralischer Hinsicht aller Ehren wert wäre. 
 

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