Fußballfans sind bessere Menschen

Die Allermeisten sind das. Das Prädikat "demokratiefähig" haben sie in jedem Fall verdient. Eine Glosse über Schambein und Globuli, entnommen aus dem Zeitspiel Magazin, Ausgabe #25.

Mit denen, die edlem Fußballsport zugeneigt sind, kannst Du durchaus Staat machen. Gemeint sind die handgezählten 70 Millionen Bundestrainerinnen und Bundestrainer. Rund 10 Millionen fehlen. Sie mögen keinen Fußball, aus absolut unerfindlichen Gründen. Konzentrieren wir uns auf die Guten. Unter ihnen finden sich zahlreiche ambitionierte Teilzeitmediziner. Bestens geschult in der Diagnose von Adduktorenzerrungen und Schambeinentzündungen. Aus diesen Erfahrungen stehen sie neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen stets aufgeschlossen gegenüber. Es ist diese vorbildliche Haltung, die ihnen hilft, selbst in pandemischen Zeiten treffsichere Entscheidungen zu fällen. Deren Wichtigste: Booster ja. RedBull nein. Natürlich gibt’s auch innerhalb der Fußballgemeinde gravierende Meinungsverschiedenheiten, zum Beispiel im Musikgeschmack oder der idealen Aufstellung von Nationalmannschaft und Bundesregierung. Trotzdem hat die kickende Mehrheit das Prädikat „demokratiefähig“ absolut verdient. Von ein paar Vollpfosten muss man absehen. Die gibt’s überall – am handelsüblichen Fußballtor findet man sie am äußersten Rand.

Allerdings: Für alle, die komplett daneben stehen, hat Fußballgemeinde nicht mal einen Stehplatz übrig. Reichsbürger zum Beispiel müssen draußen bleiben. Sie halten Bundesliga für reines Teufelszeug. Logisch: Keine Bundesrepublik, keine Bundesliga. Auch der Corona-Gegner, der kürzlich in Bautzen einem Polizisten in die Wade biss, war keinesfalls von Berti Vogts inspiriert. Thomas Berthold? Nicht einmal vom Sport1Doppelpass wird er noch eingeladen.

Selbst gegenüber schwurbelnden Hilfswissenschaften zeigt sich der gemeine Fußballfan immun. Gegen Außenbandriss hilft kein Globuli, weiß jeder. Heilpraktische Irrwege haben keine Chance. Fußball erscheint als leuchtendes Gegenteil jeder anthroposophischen Verblendung. Rudolf Steiner wollte in Sport und Fußball eine ernste Gefahr für den Fortschritt der Evolution erkannt haben. Riegel-Rudi hetzte, dem Menschen werde "das Geistige förmlich ausgetrieben". Der Fußball „veraffe“ den Menschen. An anderer Stelle schwurbelte der Gaga-Guru: „Der aufrechte Gang habe dem Menschen Denken und Sprechen ermöglicht, der Fußball aber ziehe den Körper wieder nach unten.“ Andersrum betrachtet: Wer den Fußball hasst, wird mit Namentanzen nicht unter zehn Umdrehungen bestraft.

In diesem Sinne kann man Fußball als Schutzschild gegen Anthropologie und Reichsbürgertum nicht hoch genug loben. Inzwischen avanciert die Sportart sogar als Schule der Demokratie. In Hannover und Stuttgart besiegten echte Fußballliebhaberinnenn und -liebhaber ihre präsidialen Despoten. Für Freiheit des Denkens und Teilhabe. Astreine Schwarmintelligenz. Neuerdings wird sogar in Bayern kontrovers auf Hauptversammlungen diskutiert. Gegen alle Sprechverbote stehen Mitglieder auf Stühlen, um das Recht der freien Rede auszuüben. In Bayern wohlgemerkt! Eine Revolution bahnt sich an. Fehlt nur noch der DFB. Der verhält sich wie jeder wohlgenährte Sportverband. Vollbesetzt mit fetten, alten Männern ruht er ins sich selbst. Immerhin 262 Delegierte dürfen frei sprechen und wählen. Wer sie dorthin delegiert hat, ist mit demokratischen Strukturen kaum zu erklären.

Die Glosse stammt aus der Rubrik "Neues aus dem Kuchenblock". Sie ist sozusagen der Rausschmeisser auf der letzten Seite des Magazins. Die Zeitschrift befasst sich in Ausgabe #25 mit dem Jüdischen Fußball in Deutschland. Sie kann, wie so oft an dieser Stelle ohne jede Einschränkung empfohlen werden. Ausgabe und Abo gibts unter www.zeitspiel-magazin.de
 

Mehr zum Thema Riegel-Rudi und die Namenstänzer im prophetischen Bulletin von Dietrich Krauss. 
Hat einige Monate auf dem Buckel. Wird immer aktueller. Leider.

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