Zlatan, Zocker, Zuperlüg

Irgendeiner regt sich ja immer auf. Im Internet sowieso. Die Algorithmen der sozialen Medien berechnen aus der Resonanz der Empörungswelle die Größe eines Skandals. Leider nicht immer sehr maßstabsgerecht. Auch im Fußball …

Auf die Frage nach dem, was sich gehört und was nicht, gibt es keine Einigkeit. Die einen sagen so und die anderen sagen so. Was dem einen lieb und teuer erscheint, vor allem auch bei Fragen des Anstands und der Moral, das geht dem anderen sozusagen am Arsch vorbei. Was geht und was nicht, das ist in der Regel in einem Moralkodex dokumentiert und für alle Zeiten fixiert. Das etwa Mord, Ehebruch, Diebstahl, Lüge und Begierden unterschiedlichster Art sich nicht gehören, steht in den zehn Geboten, dem grundlegenden Moralkodex der christlichen Welt. Was die christliche Kirche als Hüterin dieser Moral aber seit Jahrtausenden nicht daran hindert, regelmäßig selbst gegen ihre eigenen Gebote zu verstoßen. Dazu gehören ganz zuvorderst Mord und Diebstahl und natürlich das Nachgeben bei unterschiedlichsten Begierden nicht zu vergessen. Das nennt man dann landläufig Doppelmoral und wird von der Macht gern mit Unfehlbarkeitsklauseln relativiert oder mit dem schnöden Mammon aus der Welt geschafft. Moralische Barrieren sind ja in der Regel nur eine Frage des Preises. Aber nicht für jeden.

Das musste aktuell nun auch Gott persönlich am eigenen Leibe erfahren, in der profanen Welt auch schlicht nur Zlatan genannt. Er hat gesündigt und gegen den Moralkodex der UEFA verstoßen, der es Lizenzspielern in der Fußballwelt verbietet, sich finanziell an Unternehmen zu beteiligen, die ihr Geld mit Fußballsportwetten verdienen. Es handelt sich um die auf Malta angesiedelte Firma „Bethard“ für die sich Zlatan Ibrahimovic seit der WM 2018 als Zocker-Botschafter hergibt und an der er offensichtlich auch selbst finanziell beteiligt ist. Hintergrund für das von der UEFA und der FIFA den Lizenzspielern auferlegte Verbot ist mutmaßlich die Verhinderung des Wettbetrugs. Als ob ein Fußballgott wie Zlatan das nötig hätte. Doch da kennt die UEFA keine Gnade. Gestern gab die UEFA bekannt, dass die Ethik- und Disziplinarkommission Ermittlungen gegen Zlatan aufgenommen hat. Die UEFA-Kommission ist so etwas Ähnliches wie die vatikanische „Kongregation der Inquisition“, eine päpstliche Strafermittlungsbehörde, die niemals ermittelte, niemals Gefangene machte und jeden mutmaßlichen Delinquenten schnurstracks auf dem Scheiterhaufen verbrannte.

Ganz so streng wird die Ethik- und Disziplinarkommission mit Zlatan nicht verfahren, doch für den mittlerweile 39-jährigen Fußballgott wäre selbst eine nur einjährige Spielsperre mit dem sicheren Karrieretod gleichzusetzen. Er wäre für den Fußball sozusagen verbrannt. Die Motivation der UEFA, sich nun plötzlich derart auf Zlatan einzuschießen, obwohl seine Verbindungen zum genannten Wettanbieter Bethard bereits seit 2018 allgemein bekannt sind, lässt sich nur erahnen. Dass dabei die bereits genannte Doppelmoral bei der UEFA ebenfalls eine Rolle spielt, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. In zahlreichen europäischen Stadien und Vereinen, von den unteren Ligen bis hin zum Champiosleague-Club, spielen Sportwettenanbieter eine bedeutende Rolle, als indirekter und auch direkter Sponsor. Die UEFA käme niemals auf die Idee, etwa den FC Bayern München auf eine etwaige Interessenskollision durch das Platin-Sponsorship des Anbieters „Tipico“ auch nur hinzuweisen. Die halbseidenen Geschäfte der in Steueroasen angemeldeten Wettanbieter erreichen Jahr für Jahr Umsätze in Zig-Milliarden Euro Höhe. Dass diese Branche in den Premium-Werbezeiten kurz vor und in den Spielpausen der Fußballübertragungen keine Konkurrenz mehr hat, das allein spricht schon Bände.

Der in der EU sehr hoch angesiedelte, moralische Anspruch an den Verbraucherschutz und an die Bekämpfung der Spielsucht wird durch die Tolerierung von Online-Lizenzen für das Wettgeschäft in Steueroasen ad absurdum geführt. Die EU legalisierte de facto durch die Hintertür das zuvor nur illegal auszuübende und moralisch doch sehr fragwürdige Gewerbe des Online-Wettens. In Deutschland wird etwa die Beschränkung des Gewerbes durch den sogenannten „Glücksspielstaatsvertrag“ geregelt, der nach jahrelangem Hin und Her nun im kommenden Juli in Kraft treten soll. Der soll im Nachhinein das regeln, was zuvor nahezu sanktionslos bereits über Jahre illegal geschah. Was die für das Glücksspiel zuständigen Bundesländer nicht davon abhielt, währenddessen jede Sportwette mit 5 % zu besteuern, zu Lasten des Spielers, und an dessen Spielsucht mitzuverdienen. Die Lobbyisten der Branche nutzen seit einiger Zeit intensiv ihre Kontakte in die Vereine und in die Politik, um die schärfsten Regulierungsbemühungen noch abzuwenden. So soll etwa das Umsatzlimit für Wettkunden plattformübergreifend auf 1000 Euro monatlich beschränkt werden, was den Wettanbietern so gar nicht schmeckt. 1000 Euro Spielgeld, mehr nicht! Das, was jeden Normalverdiener an monatlichen Ausgaben für die Spielsucht bereits in den finanziellen Ruin treiben würde, hält die Politik für angemessen und die Wettanbieter für zu wenig. Das System lädt unter Aufsicht des Glücksspielmonopols der Bundesländer, die auch über die Konzessionierung sicherlich ihren Teil vom Kuchen abbekommen, zur bequemen Online-Geldwäsche in großem Maße geradezu ein. Die Empörung darüber hält sich sehr in Grenzen.

Und die UEFA konzentriert sich mit ihrer Empörung derweil lieber auf eine potenziell im Raum stehende Spielmanipulation durch Zlatan Ibrahimovic zu seinen und der Firma Bethards Gunsten. Die Empörung gehört ja auf Seiten des Anstands und der Moral zum üblichen Reflex und wird umso lauter vorgetragen, wenn sich eigene moralische Verfehlungen so ein wenig kaschieren lassen. So geschehen, als die UEFA in der letzten Woche mit aller ihr zur Verfügung stehenden medialen Macht zum Kreuzzug gegen das Projekt „Super League“ aufrief. 12 europäische Vereine hatten geplant, sich mit dem Projekt „Super League“ einen der gewinnbringendsten Wettbewerbe der UEFA einzuverleiben und den finanziellen Zwischenhandel durch die UEFA zu unterbinden. Die Investmentbank JP Morgan sah darin ein lukratives Geschäftsmodell, für die selbsternannte Elite des Europäischen Fußballs und die Bank sowieso. Die UEFA drohte den Vereinen umgehend mit Lizenzentzug sowie mit Sperren für alle laufenden Wettbewerbe allein wegen dieser unmoralischen Gier nach mehr Teilhabe am Gewinn des internationalen Fußballgeschäfts. Auf diese Reaktion war man in Manchester, London und Liverpool genauso wenig vorbereitet wie in Mailand, Turin oder Madrid. Hatte der Europäische Fußballverband sich doch ansonsten auch stets der Macht des Geldes verschrieben.

Der daraufhin folgende mediale Kreuzzug für die Moral und den Anstand im Fußballsport ist beispiellos. Die Fans fast aller an dem Projekt beteiligten Vereine gingen ob der vermeintlichen Geldgier ihres Clubs und ihrer sportlichen Idole auf die Barrikaden und ein Shitstorm fegte mit Tsunami-gleichen Wellen der Empörung durch alle sozialen Medien. Das hatten die Präsidenten und Investoren des „dreckigen Dutzends“ des europäischen Fußballs nicht erwartet. Die Pläne für den Start einer nur für auserwählte Clubs betriebenen Gelddruckmaschine im europäischen Fußball landeten nach wenigen Tagen auf dem Scheiterhaufen des Anstands und der Moral. Die reuigen Sünder in den oberen Vereinsetagen leisteten mit teilweise absurden medialen Auftritten Abbitte bei ihren Fans. Obwohl sich doch, bei Licht betrachtet, das Projekt der Super League, weder in finanzieller, noch in moralischer Hinsicht, groß von dem etablierten Vermarktungskonzept der UEFA unterscheidet. Ob nun mehr als 3 Milliarden Euro pro Jahr durch die finanziellen Mühlen einer Investmentbank oder durch die UEFA an die immer gleichen Clubs umverteilt werden, spielt eigentlich keine große Rolle. Es änderte sich nicht viel. Gehört das so? Nein! Der Job ist erst erledigt, wenn die europäischen Fußballfans mit ihren Wellen der Empörung dazu auch noch die Doppelmoral und das zutiefst korrupte und verkommene System der UEFA ins Visier nehmen. Aber ich befürchte, das bleibt nur ein frommer Wunsch.

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