Klub der peinlichen Presidentes

Würde man den lächerlichsten Klub Europas auszeichnen, Racing Santander hätte seinen Platz auf der Shortlist sicher. Jetzt steht Racing vor der Rückkehr. Jetzt wirklich – oder wieder nur ein Märchen?

Einige Fans erscheinen im Strandkleid auf der Gegengerade. Der Sardinero, ein riesiger Stadtstrand, liegt nur einen missratenen Abschlag entfernt. Es ist Samstagmittag. Die halbe Stadt quetscht sich auf dem feinen Sand, Haut an Haut wie in einer Sardinenbüchse. So sieht auch das Stadion aus: wie eine Sardinenbüchse, jetzt architektonisch gesehen, flach mit abgerundeten Ecken. Im Unterschied zum Strand ist der legendäre Campos de Sport El Sardinero allerdings nur halb gefüllt, gegen 18.00 Uhr. Die Hymne wird a cappella gesungen. Vom den 11.000 Zuschauern sind nichtalle text- und melodiesicher. Für spanische Zweitligaverhältnisse sind 11.000 erstaunlich viel. Richtig viel, wenn man sich die Peinlichkeiten vor Augen führt, die sich der königliche Klub Racing Santander in den letzten zwanzig Jahren geleistet hatte.

Hervorragende Rahmenbedingungen

Dabei ist in der Hauptstadt Kantabriens alles vorhanden, was ein Fußballstandort braucht. Tradition satt. Santander gehört wie Bilbao und andere Klubs im Norden zu den frühen Gründungen. Die reichen Engländer brachten vor mehr als hundert Jahren die Industrialisierung, ihren Lebensstil und ihr Ballspiel an die Nordküste. Über Jahrzehnte war Racing selbstverständlicher Bestandteil der Primera Division. Der Klub blieb als einzig großer Verein in Kantabrien konkurrenzlos. Der Radius für die Fanbase ist respektabel. Zu keinem Zeitpunkt seiner Geschichte muss Racing fürchten, gegen einen unmittelbaren Nachbarn den Kürzeren zu ziehen. Übrigens zählt Kantabrien zu den solide strukturierten Regionen Spaniens. Wirtschaftlich gesehen gibt es schlechtere Standorte auf der iberischen Halbinsel. Im Übrigen gelten Racinguistas als treue Fans. Der Support ist leidenschaftlich, fast britisch. Das Sardinero ist aufgrund seiner Lautstärke gefürchtet. Das mag allerdings an der umlaufenden Überdachung liegen, die man sich in den Stadien des Süden oft gespart hat. In Kantabrien regnet es üppig. Gut für die Stimmung. Trotz des atmosphärischen Vorteils: An anderen Standorten hätte Racing keinen einzigen Fan mehr, bei all den Bauchlandungen.

Ein ukrainisch-amerikanischer Geschäftsmann

Ende der Neunziger begannen die Dinge aus dem Ruder zu laufen. Racing lebte über seine Verhältnisse und häufte Schulden an, die nur mit Investoren aufgefangen werden konnten. Da die Not groß war, fiel die Seriositätsprüfung ins Wasser. Dmitri Piterman, ein ukrainisch-amerikanisches Großmaul, das irgendwie zu Geld gekommen war, übernahm eine Minderheitsbeteiligung. Sein Engagement war verbunden mit der Zusicherung, dass sich die Mehrheit künftig nach ihm zu richten hätte. Das hatte zwei unmittelbare Folgen. Erstens: Fast der gesamte Trainerstab quittierte seinen Dienst. Zweitens: Piterman beförderte sich sich selbst zum Cheftrainer. Da ihm die Lizenzen fehlten, protestierte zwar der Verband, aber gegen Pitermans Unverfrorenheit waren die Funktionäre machtlos. Piterman feuerte den Trainer erneut und holte Chuchi Cos, einen alten Fahrensmann seiner Selbst. Cos war ein bewährter Strohmann. Piterman sass neben ihm, abwechselnd als Fotograf, Journalist oder als Teil des Racing Betreuerstabes. Nach einer katastrophalen Spielzeit gelang es dem Verein den ukrainischen Thomas-Magnum-Verschnitt aus der Stadt zu jagen. Die Schulden waren allerdings größer geworden statt kleiner. Mit Steuerzahlung waren die Grün-Weißen längst im Rückstand.

Ein indischer Multi-Millionär

Racing konnte sich zwar einige Spielzeiten vor dem Abstieg retten. Aber der Preis wurde teuer und teuerer. Nur auf eines konnte man sich verlassen: Trainer wurden immer schneller entlassen. Bis plötzlich 2011 ein Ausweg aus der jahrelangen Misere gefunden wurde. Sein Name: Ashan Ali Sayed. Indischer Multimillionär. Sein Versprechen: Binnen fünf Jahren soll aus Santander die dritte Kraft im spanischen Fußball werden. (Fans des VfB Stuttgart haben jüngst Ähnliches gehört). Natürlich wurde alles schlimmer. Lediglich ein einziges Versprechen löste der angeblich stinkreiche Inder ein: Er holte Trainer Preciado zurück, der floh, als Piterman kam. Die Fans waren glücklich, wenigstens einige Tage lang. Sayed war nichts als eine sprechende Luftpumpe. Er zahlte weder Steuern, noch Rechnungen oder Gehälter. Die Marca schrieb später, dass Sayed den Klub mit Gewinn an die Königsfamilie von Bahrain weiter verkaufen wollte. Doch der Plan scheiterte am Arabischen Frühling. Ihre königlichen Hoheiten hatten plötzlich andere Probleme. Sayed blieb auf Racing sitzen. Und Racing auf seinen Schulden. Der Abstieg in die Segunda war vorgezeichnet. Die Steuerbehörde hatte längst die Nase voll.

Zurück nach Kantabrien

Geht’s noch schlimmer? Natürlich. Racing stieg bald darauf in die Segunda B ab. Nichts funktionierte, bis auf das neu formierte Team. Völlig überraschend überstand Santander die ersten Runden und traf im Frühjahr auf die Größen der Primera Division. Racing war zurück im nationalen Fokus, und benahm sich entsprechend. Die Spieler hatten schon ein halbes Jahr keinen Cent mehr gesehen. Die Zuschauer solidarisierten sich mit ihnen. Während die Racing-Elf auf dem Rasen für einige Sekunden die Arbeit verweigerte – Almeria war ebenfalls solidarisch und spielte sich selbst den Ball hin und her – , stürmten die Fans die Ehrenlogen und gingen auf ihre Vorstände los. Das Spiel endete Remis. Völlig überraschend gewann Santander das Rückspiel und qualifizierte sich für die nächste Runde. Real Sociedad San Sebastian lautete der nächste Gegner. Die Partie sorgte für Aufsehen in ganz Europa. Die Spieler hatten nach wie vor keinen Cent auf ihr Konto bekommen. Diesmal bestreikten sie das gesamte Match, vom Anpfiff weg. Im Rückspiel im Sardinero machten die Spieler ihre Drohungen wahr. Beim Anpfiff formierten sie am Anstoßpunkt einen Kreis, verschränkten ihre Arme und verharrten in regungsloser Solidarität. Real Sociedad spielte den Ball ins Aus. Niemand warf ein. Das Spiel wurde abgebrochen. Racing war europaweit berühmt.

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Zu dieser Saison ist Racing wieder in die zweite Liga aufgestiegen. Das erste Spiel wurde zuhause 0:1 gegen Malaga verloren, nach überlegenen ersten siebzig Minuten. Auch am Samstag gegen Almeria sah es lange gut aus, genauer gesagt, bis zur fünften Minute der Nachspielzeit. Dann flog ein Freistoß in den Strafraum, am Racing-Torhüter vorbei. Die Tribüne reagierte Racing-typisch: mit stiller Verzweiflung.

An der Rückkehr in den bezahlten Fußball beteiligt ist die Grupo Pitma, ein kantabrisches Unternehmensgebilde, das im wesentlichen Unternehmen führt, die in der Telekommunikation und im Telemarketing tätig sind. Die einheimischen Eigentümer haben bereits drei Jahre hinter sich, in denen sie versuchen, das Chaos zu lichten. Sie erhöhen ihre Anteile an Racing suksessive und wandeln damit Schulden um, die Racing bei Pitma hat. Erst vor wenigen Wochen wurden die Forderungen der Steuerbehörde aus den vorangegangen Jahrzehnten abgelöst. Das erste Mal seit zwanzig Jahren ist Racing ohne Steuerschuld. Doch auch Pitma kann ein Grundproblem des investitionsgetriebenen Fußballs nicht beseitigen. Nach wie vor gilt in Santander: Geht der Investor unter, ist auch der Verein dem Tode geweiht. Die zarte Wiederauferstehung von Racing steht und fällt mit Pitma. Die Unternehmensführer beteuern zwar ihre Redlichkeit und ihre Liebe zu Racing und Kantabrien. Wer allerdings investorengetriebenen Fußball verfolgt, hat die Pitma-Floskeln schon viel zu oft gehört.

Andererseits: Racinguistas sind Kummer gewöhnt. Die meisten sind bereits dankbar über drei Jahre ohne weitere Slapsticknummern des Vorstandes. Slapstick auf dem Rasen reicht völlig. Dieser eine Punkt aus den ersten beiden Heimspielen: Das ist definitiv zu wenig. In Santander ist jedem klar: Am Ende wird es wieder eng im Sardinero.

 

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