Prophetie in Zeiten der Pandemie

Die neue Tipprunde der Propheten-Liga ist am Start. Warum sich das in Zeiten der Corona-Pandemie irgendwie anders anfühlt als zuvor…

Der Corona-Virus hat die Welt komplett auf den Kopf gestellt. Sie verändert unsere Sicht auf die Dinge und unsere Sicht auf die Welt. Es ist, als schwebe man „über den Wolken und alles, was uns groß und wichtig erscheint, wird plötzlich nichtig und klein“. Und umgekehrt. Unterbezahlte Supermarktkassiererinnen und Pflegekräfte gelten auf Mal als systemrelevant und selbst so eine banale und alltägliche Routine wie das Händewaschen gleicht heutzutage einem lebensrettenden Akt. Wir wissen dazu nun exakt, was 1,5 Meter Abstand sind, wir eigneten uns in kürzester Zeit virologisches Basiswissen an, wir beherrschen plötzlich die Grundsätze der epidemiologischen Statistik und sind auch noch Experten für Hygieneschutzmaßnahmen aller Art geworden. Wir kennen die Unterschiede zwischen Atemschutzmasken und Mund-Nase-Bedeckungen und wissen, dass letztere spätestens dann ein Fall für die Waschmaschine oder Mülltonne sind, wenn sie beginnen irgendwie nach Sauerbraten zu riechen. Wir sind empathischer geworden, wir sind solidarisch und schützen uns selbst und andere. Das ist wie bei den Schwyzer Eidgenossen: Einer für alle, alle für einen. Mal abgesehen von den zahlenmäßig wenigen, selbsternannten Querdenkern, die aber meistens schon zuvor nicht mal richtig geradeaus denken konnten.

Die gegenseitige Rücksichtnahme ist das erste pandemische Gebot. Das ist gut so und angesichts der weltweiten Entwicklung der Pandemie in den letzten Monaten bewiesenermaßen der einzige Weg die Schwächsten zu schützen. Auch wenn es manchen nicht leichtfällt. Es beinhaltet ja eben auch, größere Menschenansammlungen als potenzielle Infektionsherde zu meiden bzw. zu vermeiden. Keine Konzerte mehr, keine durchtanzten Nächte in Diskotheken mehr, die man heute kurioserweise nur noch Clubs nennt und auch sonst geht nicht mehr viel, wenn viele dazugehören wollen und sollen. Auch für jeden Fußballfan bedeutet das praktisch ein Stadionverbot. Und angesichts der aktuellen pandemischen Entwicklung im Bundesliga-Land und der zu einer Dauerwelle mutierten Infektionslage wird das noch lange Zeit Bestand haben. Voraussichtlich. Fußball wird trotzdem gespielt. Am 18. September startet die neue Bundeligasaison 20/21. Voraussichtlich. Diese Einschränkung muss man in Corona-Zeiten bei nahezu allem, zukünftig Anstehendem anfügen. Für die gestandenen Propheten und Prophetinnen unserer Liga stellt das aber kein Problem dar. Voraussicht ist ja ihre Profession.

Den Endstand der Bundesligatabelle nach 34 Spieltagen richtig vorhersagen zu können, setzt aber auch voraus, dass diese auch allesamt stattfinden. Was nun alles andere als gesichert ist. Die letzte Saison wurde mit Ach und Krach, gerade mal so, ganz ordentlich zu Ende gebracht. Ob das in der kommenden Saison ebenfalls gelingt, ist sehr fraglich. Einer oder zwei positive Corona-Fälle in der Mannschaft reichen ja schon aus und schon wird der gesamte Kader tagelang in isolierte Einzelhaft genommen. Passiert das bei dem ohnehin sehr engen Terminplan der nächsten Saison häufiger, wird das nicht gut gehen. Um das zu verhindern, kommt bereits der normale Alltag eines Bundesligaspielers einer Isolationshaft gleich. Der Ball und der Rubel müssen rollen. Im Gegensatz zum Fan in der Kurve ist der Spieler sehr wohl systemrelevant. Zuviel Geld steht auf dem Spiel, im System Bundesliga. Mal mit den Kumpels abhängen und gemütlich Shisha rauchen ist für Fußballer deshalb nicht drin. Trotzdem sind die Ballartisten unter den Künstlern in Corona-Zeiten noch gut dran. In anderen Kulturbereichen geht es für Millionen nach einem halben Jahr bereits um die Existenz. In Sachen Systemrelevanz stehen die Fußballer anscheinend weit über den Musikern, Theaterschauspielern, Tänzern und den vielen anderen, die im Kulturbereich ihr hartes Brot verdienen müssen.

Ist der Fußball, die „wichtigste Nebensache der Welt“ in unserer Gesellschaft das wert? Die einen sagen so und die anderen so. Um das System Bundesliga aufrecht zu erhalten, nehmen die Vereine sehr viel in Kauf. Oft zuviel. Eine längere Zeit andauernde Corona-Krise wird zwangsläufig auch die Fußballwelt auf den Kopf stellen und die Perspektiven auf das Milliardengeschäft ändern. Das Motto „Einer für alle, alle für einen“ hat im Big Business des Fußballs noch nie gegolten. Aber sobald die ersten Vereine ihre Wetten auf die Zukunft verloren haben und in die Insolvenz rutschen, kann es kein „weiter so“ mehr in dieser Branche geben. Voraussichtlich. Für viele Fußballfans gibt es nun schon kein „weiter so“ mehr. Sie wenden sich mit Grauen von dem ganz ohne Fans irgendwie blutentleertem Geisterspielspektakel ab. Die Corona-Pandemie eröffnete auch ihnen eine andere Sicht auf das Objekt ihrer Begierde. Es erschien ihnen plötzlich ganz nichtig und klein. Das Rumoren in der Fan-Gemeinde wird sicherlich noch zunehmen, wenn nach dem 31. Oktober möglicherweise wieder Fans in begrenzter Anzahl in die Stadien dürfen. So Corona will und in der lokalen Corona-Fallstatistik die Dauerwelle wieder einem veritablen Kurzhaar-Bürstenschnitt gewichen ist. Dann wird es im Stadion plötzlich auch systemrelevante und weniger systemrelevante Fans geben. Der Ärger ist vorprogrammiert. Anderen Fans ist das Alles vollkommen wumpe. Sie wollen auf gar keinen Fall auf den wochenendlichen Götzendienst an ihrem Verein verzichten. Wenn es im Stadion nicht geht, dann eben vor dem Fernseher. Aber was bedeutet das für die Propheten-Liga?

Wir lassen uns von den Corona-bedingten Turbulenzen im Fußball nicht unterkriegen und freuen uns auf die zahlreichen Prophetinnen und Propheten, die bis zum Saisonstart am 18. September 2020 ihre begnadete Voraussicht für die Abschlusstabellen der 1. und 2. Bundesliga für alle Ewigkeiten in den digitalen Stein der Propheten-Liga meißeln. Und was bis zum letzten Spieltag in der Zwischenzeit in den Ligen passiert, werden wir wie gehabt auch in der kommenden Saison in unseren Bulletins nach bestem Wissen und Gewissen begleiten und kommentieren.

Corona hin oder her - Wir machen weiter: Einer für alle, alle für einen.

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