Salahs Salär und Chelseas Chaos

Mo Salahs absurd hohe Gehaltsforderungen und das Chaos beim Chelsea FC haben in England eine Diskussion entfacht, die das Wertesystem im Fußball massiv infrage stellt. Wer hätte das gedacht?

Der einzige Wertmaßstab, der in der Premier League seit jeher Gültigkeit besitzt, beinhaltet eine Skala mit der Einheit Pfund Sterling. Die wird, der Einfachheit halber, nur in der Zehnerpotenz hoch Sechs dargestellt. Die Million ist der Faktor, mit dem sich alle Werte im englischen Fußball am einfachsten berechnen lassen. Es ist sozusagen ein Mega-Geschäft. Damit der einfache Fan auf der Tribüne dabei den Überblick nicht verliert, werden die Gehälter der Fußballstars üblicherweise in der Summe „per week“ angegeben. In Zehntausenden oder auch Hunderttausenden „pro Woche“, wenn es um die ganz großen Stars geht. Eine etwas handlichere Einheit, die den gemeinen Fans nicht gar so der Realität entrückt vorkommen mag, selbst wenn viele nicht einmal mit dem Zusatz „pro Jahrzehnt“ ihr eigenes Einkommen dazu in Relation stellen könnten. 

Bei den führenden Clubs in der Premier League tragen die teilweise absurd hohen Gehaltskosten mit weit mehr als 50 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Bei Manchester United, dem Umsatz-Champion der Premier League, lagen die sogenannten „wage costs“ 2019 bei 352 Millionen Euro. Dahinter rangieren die Citizens mit 315 und Chelsea mit 314 sowie der Liverpool FC mit 310 Millionen Euro. Die Strategie geht auf. Die teuersten, sprich die besten Spieler der Welt garantieren den geschäftlichen Erfolg des Fußball-Investments, der sich in Umsatzzahlen von weit mehr als einer halbe Milliarde Euro niederschlägt. Absoluter Marktführer war 2019 Manchester United, mit 627 Millionen Euro Umsatz, gleichauf gefolgt vom Manchester City und dem Liverpool FC mit etwa 535 Millionen Euro. Die Zahlen beweisen, gutbezahlte, zufriedene Mitarbeiter sind das A und O in diesem Geschäft. Was möglicherweise viele gleich an das Zitat von Robert Bosch erinnert: „Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle.“ Das geht so aber nicht auf und problematisch wird es auch, wenn einige den Hals nicht vollkriegen. 

Gegen Ende einer Vertragslaufzeit versuchen viele Fußball-Profis bei einem Anschlussvertrag hoch zu pokern, da die Aussicht des Vereins, einen Topspieler nach Vertragsende ablösefrei zu verlieren, die Verhandlungsbereitschaft doch entscheidend beeinflussen kann. Zurzeit übt sich Liverpools Stürmerstar Mo Salah in diesem Spiel. Nicht, weil er sich bei Liverpool irgendwie unterbezahlt fühlen müsste, denn im Lohngefüge des Vereins steht er mit 200.000 Pfund „per week“ zusammen mit Thiago an zweiter Stelle hinter Virgil van Dijk, der 220.000 Pfund pro Woche verdient. Salah, bzw. dessen Anwalt, wünscht sich dagegen nun mindestens ein doppeltes Gehalt von 400.000 Pfund, das ihn in der Premier League zumindest auf eine Stufe mit Kevin de Bruyne stellen würde, einen der Stars bei Manchester City. Doch eigentlich seien 420.000 Pfund pro Woche angestrebt, spekulieren unterschiedlichste Medien weltweit. Damit wäre er aber noch weit entfernt von Christiano Ronaldos Salär, der 510.000 Pfund pro Woche kassiert. Es geht immer noch absurder. Wie Salah seinen eigenen Wert monetär hochschätzt und seine Forderung mit zu geringer, bisheriger Wertschätzung seitens des Vereins begründet, sollte jedoch jedem LFC-Fan zu denken geben. Insbesondere auch, wenn man Salahs Leistungen in Relation zu anderen Spielern des Clubs sieht. Etwa zu Sadio Mané.

Der für Jürgen Klopps erfolgreiches Spielsystem bei Liverpool mindestens ebenso unentbehrliche Spieler verdient mit 100.000 Pfund „nur“ die Hälfte des bisherigen Einkommens Salahs. Er ist wie Salah 28 Jahre alt und sein Vertrag endet, wie dessen Vertrag, ebenfalls 2023. Vergleichbare Forderungen seitens des immer sehr bescheiden auftretenden Senegalesen sind bisher nicht bekannt. Der Wert einer Leistung ist scheinbar nicht so einfach zu bemessen. Bei den Liverpool-Fans schlugen Salahs Forderungen in den letzten Wochen hohe Wellen. Die eine Fraktion besteht darauf, dass der beste Stürmer der Welt unverzichtbar für den Verein sei und man seinen Forderungen nachgeben solle. Die andere würde Salah ob seiner Gehaltsvorstellungen am liebsten zum Teufel schicken. Denn niemand sei größer als der Verein, erst recht nicht, wenn das Gegenteil in erpresserischer Absicht zu beweisen versucht wird. Das passe nicht zu den Wertmaßstäben des Vereins. Möglicherweise haben sich Mo Salah und sein Berater Ramy Abbas Issa angesichts einer anderen derzeit in England geführten Werte-Diskussion in der Premier League etwas verzockt. Dabei geht es ebenfalls um viel Geld und unmoralische Forderungen, die es am besten gar nicht zu stellen oder im Zweifel auch abzulehnen gilt. 

Der Chelsea FC versinkt gerade im Chaos und steht nach dem Einfrieren aller Vermögensbestände des Club-Eigners Roman Abramowich praktisch vor dem finanziellen und sportlichen Ruin. Die Sanktionen der britischen Regierung gegen mutmaßlich Putin-treue Oligarchen aufgrund der militärischen Invasion Russlands in der Ukraine haben in der Premier League zu einer zuvor nie dagewesenen Diskussion geführt. Im Zuge dessen werden nun plötzlich auch die Finanzstrukturen und die Herkunft der im englischen Fußball investierten Fantastilliarden insgesamt hinterfragt. Liverpools Trainer Jürgen Klopp gab am Wochenende während eines Interviews einen ebenso klugen wie passenden Kommentar zu dem Thema ab. Die Herkunft der Abramowich-Gelder sei doch niemals ein Geheimnis gewesen. Jeder habe seit vielen Jahren davon gewusst, genauso wie jeder gewusst habe, woher Man City sein Geld hat oder von wem Newcastle zukünftig finanziert werde. Welchen Einfluss die Politik mit Geld auf den Sport nimmt, habe doch in England nie wirklich jemanden interessiert. Es sei deshalb zuvorderst ein gesellschaftliches Problem. Die Gesellschaft habe es niemals interessiert, was da passiert und, ja, es sei gut, wenn sich das in Zukunft ändere. Das sei die einzige Lehre daraus. 

Die ganze Diskussion hält manche Chelsea-Fans zum Leidwesen des Trainers Thomas Tuchel nicht davon ab, Gedenkminuten wegen des Krieges in der Ukraine zu stören und während des Spiels Roman Abramowich mit Sprechchören abzufeiern. Wie zuletzt beim Heimspiel und dem 1-0-Sieg gegen Newcastle United zu hören. Bei Pressekonferenzen ist es für Tuchel nun bereits Routine, auch Fragen zum Abramowich-Problem seines Vereins zu beantworten. Eddie Howe, sein Kollege bei den Magpies, hatte jedoch große Probleme seine Fassung zu bewahren, als er von einem Journalisten in der PK auf die Hinrichtung von 81 Menschen in Saudi-Arabien letzte Woche angesprochen wurde und wie das zu den vielen Saudischen Flaggen im Fanblock der Magpies passe. Es sei doch ganz offensichtlich, wie der Sport dazu genutzt werde, auch ganz offensichtliches, politisches Unrecht reinzuwaschen. Selbst auf mehrfach folgende, insistierende Fragen und auch nach dem Verweis auf Thomas Tuchel, der sich ja schließlich auch zu solchen politischen Fragen äußern müsse, blieb Howe immer noch dabei, nur Fragen zum Spiel und zum Fußball beantworten zu wollen. Wer dabei in sein Gesicht geschaut hat, kann aber erahnen, wie sehr er dabei gelitten hat und sich hinterher selbst dafür gehasst haben muss. Kein Mensch geht vollkommen ohne Werte durch diese Welt, doch bekanntlich kommt immer erst das Fressen und dann die Moral. 

Es bleibt abzuwarten, wie lange Eddie Howe diese Diskrepanz in der öffentlichen Diskussion aushält. Die begonnene Werte-Diskussion im englischen Fußball ist einmal entfacht, nun kaum noch zu stoppen. Das weitere Schicksal des Chelsea FC wird großen Einfluss darauf haben. Vielleicht wird diese Diskussion dazu beitragen, dass zukünftige Wertmaßstäbe im Fußball und im Sport allgemein auch andere Werte als ausschließlich die monetären beinhalten werden.

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