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Beim Athletic Club Bilbao spielen seit jeher nur baskische Spieler. Ohne Ausnahme. Das ist so. Punkt. Ist die einzigartige Club-Philosophie aus der Zeit gefallen oder schon wieder top-aktuell? Ein Interview mit Dirk Segbers, dem Autor des neuen Buches „Aus Prinzip einzigartig“.

Ist das Konzept der freiwilligen Beschränkung auf regionale Spieler wirklich so einzigartig?

Nach meiner Kenntnis ist der Athletic Club der einzige Verein, der ein solches regionales Konzept mit aller Konsequenz im eigenen Profiteam verfolgt. Das gab es zwar in der Nachbarschaft bei Real Sociedad San Sebastián ebenso. Aber nur bis in die Siebzigerjahre. Heute gilt die strikte Regionalität bei Real Sociedad nur noch in der Jugend.

Wie ist das eigentlich entstanden?

Genauso wie früher der Fußball war. Man hat auf die Leute gesetzt, die rund herum zur Verfügung standen und kicken konnten. Im Fall von Bilbao kommt dazu, dass schon im Jahr 1913 das Stadion San Mamés gebaut wurde. Da war kein Geld mehr vorhanden, um von außerhalb Spieler zu holen – angesichts der Kosten, die damit verbunden gewesen wären. Der Unterschied zu den anderen Vereinen ist schlicht, dass man es in Bilbao bis heute durchgezogen hat – auch als die Kassen längst wieder voll waren.

Und das wurde nie geändert?

Wenn man genau hinsieht, wurde es durchaus modifiziert. Früher war der Raum enger gefasst. Damals spielten nur Leute aus der Provinz Bizkaia, also aus einem überschaubaren Teil des Baskenlandes rund um Bilbao. Jetzt erstreckt sich das Gebiet auf ganz Euskal Herria. Damit ist der Bereich des baskischen kulturellen Einflusses gemeint, inklusive der Provinz Navarra und einem kleinen Stück von Frankreich. In diesem Gebiet müssen die Spieler geboren oder ausgebildet sein, so ist es definiert.

Schriftlich?

Mehr als hundert Jahre lang war es ein ungeschriebenes Vereinsgesetz. Vor einigen Jahren ist allerdings ein Absatz auf der Website des Klubs aufgetaucht. Wahrscheinlich weiß man sehr genau, dass ein Passus in den offiziellen Statuten ein juristisches Problem heraufbeschwören würde. Mit der freien Arbeitsplatzwahl, die auch im EU-Recht verankert ist, wäre es gewiss nicht zu vereinbaren.

Diese Ausschließlichkeit, das ist schon typisch baskisch, oder?

Die Einzigartigkeit, also auch die Abgrenzung vom Rest, kommt hier sehr gut an. Schon kulturell bedingt. Das Baskenland unterschiedet sich von Rest-Spanien. Unter anderem durch die baskische Sprache, bei der man bis heute weiß nicht genau weiß, wo sie herkommt. Die Leute haben weitere kulturelle Eigenarten, sogar ganz eigene Sportarten.

Apropos Sprache. Sprechen die Spieler Baskisch?

In der Umkleidekabine wird vermutlich hauptsächlich Spanisch gesprochen. Es sind etliche Spieler dabei, die des Baskischen nicht in dem Umfang mächtig sind, wie es notwendig wäre. Auch die offizielle Klubkommunikation erfolgt stets zweisprachig, auf Spanisch und Baskisch. 

Der bedingungslose Vorrang des Baskischen: Wie schwierig ist das, politisch gesehen?

Natürlich mischen sich Nationalismen rein. Sowohl gesunde als auch weniger gesunde. Was die Politik betrifft, versucht man sich beim Athletic Club stets rauszuhalten. Nehmen wir beispielsweise die heißen Jahre, als die ETA aktiv war. Damals war die Region innerlich zerrissen. Der Club konnte es weitgehend vermeiden, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Ein Präsident hat damals gesagt: „Unser Stadion ist der letzte Hort des Friedens im Baskenland.“ Das ging schließlich so weit, dass man nicht einmal für Opfer von ETA-Anschlägen Schweigeminuten zugelassen hat. Man hatte es einmal versucht, aber es ging gründlich schief. Das war 2008 nach dem Mord an einem sozialistischen Lokalpolitiker. Nachweislich von der ETA. Die Schweigeminute im San Mamés musste wegen lautem Missfallen nach wenigen Sekunden abgebrochen werden. Das führte natürlich zu etlichen Kontroversen. 

Gab es gegen die strikt baskische Philosophie Widerstand in den eigenen Reihen?

Nicht nennenswert. Das sitzt so tief im Selbstverständnis des Vereins. Es ist wirklich komplett undenkbar, daran etwas zu drehen. Selbst wenn jemand gekommen wäre, der das in Frage gestellt hätte, dann hätten sich jede Menge Leute auf ihn gestürzt, und ihn zum Teufel gejagt. Man ist ja gut damit gefahren. In all den Jahren gab es nur zwei oder drei Spielzeiten, in denen wirklich Abstiegsgefahr bestand. Bilbao ist neben FC Barcelona und Real Madrid das einzige Team, das noch nie aus der Primera Division abgestiegen ist. Bei Athletic denkt man gar nicht an die zweite Liga. Das funktioniert offenbar wie eine Prophezeiung, die sich selbst erfüllt.

Wie schwer wiegt der Nachteil durch die regionale Begrenzung?

Das wird seit jeher durch extrem erfolgreiche Jugendarbeit aufgefangen. Durch intensives Scouting und durch umfassende Betreuung der jungen Spieler. Dazu kommt, dass man im Profi-Bereich sehr konkurrenzfähige Gehälter zahlt. Wie das im Jugendbereich ist, lässt sich leider nicht nachvollziehen. Da hält man sich bedeckt. Ohne entsprechendes Gehaltsniveau wäre beispielsweise ein Ander Herrera nicht wieder gekommen, den man jetzt als Leihe von Paris St. Germain zurück ins San Mamés geholt hat. Auf der anderen Seite sind immer wieder Spieler im Team, von denen die Fans behaupten: Die würden in anderen Vereinen der ersten Liga vielleicht nicht einmal auf der Bank sitzen. 

Ist der besondere Rückhalt im Stadion spürbar?

Das San Mamés gilt zurecht als eines der stimmungsvollsten in Spanien. Zu dieser Saison wurden Gruppen, die aktiv unterstützen, hinterm Tor in einem Stimmungsblock zusammengezogen. Die Veränderung ist tatsächlich spürbar. Jetzt kommt die Lautstärke zwar nur aus einer Richtung, aber umso lauter und eindrucksvoller. Was sich erhalten hat: Das Publikum supportet auch, wenn es mal nicht so läuft. 

Für den Nachwuchs ist die Regionalität gewiss attraktiv. Allein schon wegen der Durchlässigkeit zum Profi-Team.

Die gute Nachwuchsarbeit macht seit Jahrzehnten den Vorsprung von Athletic aus. Das Nachwuchsleistungszentrum Lezama ist schon mehr als 50 Jahre alt. Weil ständig Geld reingesteckt wird, bleibt der Vorsprung auch erhalten. Bilbao steht im inner-spanischen Vergleich weit vorne. Die Heimatverbundenheit der Basken spielt natürlich auch in die Karten. Die jungen Spieler wollen unbedingt für Athletic auflaufen. Obwohl die Konkurrenz vorhanden ist. Mit Real Sociedad, Eibar, Alaves und Osasuna besteht ein harter Wettbewerb auf kleinem Raum.

Ist das Baskenland fußballverrückter als andere Regionen in Spanien?

Schwer zu beurteilen. Es geht wie immer auch ums Geld. Es gibt so viele gute Vereine in der Region, weil der wirtschaftliche Wohlstand außerhalb der Metropolen Madrid und Barcelona hier sitzt: im Baskenland und in Nordspanien. Das ist über die Jahrzehnte so gewachsen. Grundlage war die Industrie. Inzwischen sind alle Branchen vertreten. Der Profifußball im Norden baut auf ein breites Fundament. Auch die zweite Liga ist nordspanienlastig. Dazu kommt, dass die überwiegende Zahl der hiesigen Vereine solide wirtschaften. 

Wer finanziert den Athletic Club?

Wie üblich TV-Gelder, Sponsoren, Publikum, Merchandise und all das. Wie so oft in Spanien spielt auch der Präsident eine gewichtige Rolle. Bei der letzten Wahl wurde ein Multi-Millionär gewählt, der mit einem IT-Start-up sehr viel Geld gemacht hat. Anders wird man nicht Präsident. Im spanischen Sportgesetz war bislang fest verankert, dass der Präsident eine Bürgschaft über 15 Prozent des Jahresbudgets vorzulegen hat. Wir sprechen von einem Jahresbudget von rund 140 Mio. Euro. Der entsprechende Passus wurde erst vergangenes Jahr geändert, seitdem liegt das Einfordern einer Bürgschaft in den Händen der Klubs. Real Madrid fordert zum Beispiel eine, Athletic nun nicht mehr. Dennoch kann sich natürlich nicht jeder Vollzeit einem Präsidentenamt widmen.

Wie sieht es aktuell aus?

Der neue Präsident Jon Uriarte hat kürzlich offen angesprochen: Die finanzielle Situation ist durchaus angespannt. Athletic kalkuliert so, dass man den Europacup braucht. Das wurde einige Spielzeiten hintereinander nicht geschafft. Schulden hat man zwar keine, aber das Eigenkapital ist aufgezehrt worden. Pandemie und fehlender Europacup haben binnen drei Jahren runde 100 Mio. Euro gekostet. Gut, dass es in der laufenden Saison besser aussieht. Europa könnte drin sein, zumal mit dem Trainer Valverde, der bekannt gute Arbeit abliefert.

Hat die baskische Ausschließlichkeit eine Zukunft?

Unbedingt. Das ist nicht anders vorstellbar. Inzwischen geht man sogar international in die Offensive. Kürzlich ist ein Offizieller des Athletic Club bei einem venezolanischen Zweitligisten gewesen, um zu zeigen, wie man Jugendarbeit nach baskischem Vorbild aufzieht. Wohlgemerkt: Es kann hier nicht um Scouting für den Atheltic Club gehen. Es geht vielmehr darum, Athletic international bekannter zu machen, inklusive dieser speziellen Philosophie. Man will demonstrieren: Unser Modell funktioniert tatsächlich. Gemeint ist diese lokale, fast romantische Idee von Fußball.

Passt dazu auch der spezielle Award?

2015 wurde der One-Club-Man-Award ins Leben gerufen. Er wird verliehen an Spieler, die nur bei einem Klub gespielt haben. Kürzlich hat ihn Jennifer Zietz bekommen, die ihre gesamte Karriere bei Turbine Potsdam gespielt hat. Natürlich als One-Club-Woman-Award.

Du lebst in Spanien. Bist du selbst Fan des Athletic Club?

Ich schaue aus der Entfernung, also mit gewisser Distanz zum Verein. Ich bin zwar ein großer Bewunderer, aber kein Fan. Soweit würde ich nur beim Zweitligisten CD Mirandés gehen. Dort bin ich regelmäßig. Ich wohne ja nur einen kurzen Fußmarsch vom Stadion entfernt.

Interview und Fotos: Bernd Sautter

Dirk Segbers, Jahrgang 1980, ist Diplom-Übersetzer und Autor. Sein Buch „Athletic Club Bilbao – aus Prinzip einzigartig“ ist kürzlich im Verlag Die Werkstatt erschienen. Eine faszinierende Sammlung von Portraits und Geschichten aus der 125-jährigen Geschichte des baskischen Traditionsvereines. 

Verlag Die Werkstatt
224 Seiten
ISBN 9783730706305

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