Vivat! Vivat! Pelé!

Ehre wem Ehre gebührt. Pelé wurde am 23. Oktober 80 Jahre alt. Da über die Superlative seiner Fußballkarriere in den letzten drei Wochen bereits alles geschrieben wurde, bieten wir hier eine Hommage der etwas anderen Art.

Pelé – Der Name hat für viele Fußballbegeisterte, die ihn noch selbst live spielen und Tore schießen sahen, eine zeitlos magische Bedeutung. 1970 war das auch mir mit meinen siebeneinhalb Lenzen vergönnt, das mit dem „Pelé mal live und Tore schießen sehen“. Mein Vater konnte sich damals gegen meine Mutter durchsetzen und seine Söhne ausnahmsweise spätabends um Elfe für das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft vor die Glotze setzen. Brasilien gegen Italien und das im fernen Mexiko. Für einen westfälischen Bub vom Lande, wie mich, war mehr Exotik damals kaum vorstellbar. Alles weit, weit weg. Aber diesen Pelé, von dem es beim Bolzplatz-Pöhlen immer viele Namensvetter gab, musste man ja mal gesehen haben, nur um auch selbst mal mitreden zu können. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass nur durch dieses Spiel, bei dem Pelé vor meinen Augen das 1-0 zum verdienten 4-1 Gewinn zur Weltmeisterschaft beigesteuert hatte, sein Name auch bei mir eine zeitlose Bedeutung im Fußballgedächtnis hinterlassen hätte. Und magisch schon gar nicht. Wenn ich es genau überlege, sah ich gar nicht viel mehr von dem Spiel als dieses eine, nicht sehr spektakuläre Tor. Ich bin noch lang vor der Halbzeitpause einfach eingeschlafen. Warum der Name Pelé mir trotzdem zeitlos in Erinnerung bleiben wird, das hat ganz andere Gründe. Und das kam so.

In den Knabenmannschaften meines Heimatvereins gab es in den Siebzigerjahren sozusagen eine Zweiklassengesellschaft. Genau genommen waren es sogar drei Klassen. So wie in der Schule sich die Geister beim Gebrauch von Füllfederhaltern sehr trennscharf zwischen den Marken Pelikan und Geha schieden, schwor man bei den Fußballschuhen entweder auf die Marke Adidas mit den drei Streifen oder die mit dem Puma drauf. Von Adidas gab es beim Dorfschuster die teuersten „Pöhler“ oder „Botten“, wie wir sie als Kinder nannten, und das in großer Auswahl. Dazu gab es die Schuhe von Puma, etwas günstiger aber nicht ganz so elegant. Nike und Reebok, und wie die Sorten heute alle heißen, die existierten damals noch nicht. Dann gab es da noch die drittklassigen Fußballschuhe, die eigentlich gar keine Fußballschuhe waren. Zum Beispiel solche blau-weißen Turnschuhe aus blauem Stoff, mit weißer Kappe aus Plastik vorne dran. Die mussten nach jedem Training auf dem Ascheplatz – einen Rasenplatz gab es nur für die Senioren – sehr sorgfältig von der roten Marsberger Schlacke gereinigt werden, damit es am nächsten Tag im Sportunterricht kein Turnhallenverbot gab.

Eigene Fußballschuhe oder auch ein eigener Fußball, eine „Lederpille“, das war für mich und meine Brüder zur Kinderzeit ein sehr ferner Traum. Doch da wir zum Training und zu den Ligaspielen ohnehin nur auf Hartplätzen spielten, taten es einige Jahre auch diese Turnschuhe, die heute nur noch „Sneaker“ heißen, die aber kaum jemand jemals weder zum Turnen noch zum Kicken benutzt. Die günstigsten Turnschuhe waren damals von der Marke Kern. Eine billige Kopie der blauweißen Adidas-Schuhe mit dem Namen „Rekord“ und nur zu unterscheiden an den nur zwei anstatt drei weißen Streifen. Ich trug die Kopie. Meine ersten echten Fußballschuhe sollte ich dann nach vielen vergeblichen Wunschzetteln an das Christkind schließlich mit zwölf Jahren bekommen. Die Auswahl der richtigen Schuhe war damals gar nicht so einfach. Das war zum einen eine Preisfrage und zum anderen, was mir viel wichtiger erschien, wie diese Schuhe hießen.

Die Fußballschuhe von Adidas und Puma trugen nämlich damals fast alle die Namen verdienter Fußballhelden. Seitlich aufgedruckt und für jeden sichtbar. Jedes Kind wollte damals glauben, dass diese Helden tatsächlich nur zu Helden geworden sind, weil sie selbst genau die gleichen Schuhe zum Fußball spielen tragen. Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Berti Vogts oder Paul Breitner und Günther Netzer und wie die Fußballschuhe damals alle hießen. Mein Favorit waren damals Kickstiefel von einer mir unbekannten Firma, die ich mal in einem Katalog gesehen hatte und sonst zuvor noch nirgends. Da stand unter zwei Pfeilmustern der Name Rüdiger Abramczik drauf. Das wär’s gewesen. Genau mein Ding! Der Dorfschuster versicherte mir jedoch, und leider glaubhaft, noch nie davon gehört zu haben. Nach langem Abwägen des Für und Wider der wohlklingenden Namen entschied ich mich bescheiden für das kostengünstigste Modell „UWE“ von Adidas. Die mit „Franz Beckenbauer“ drauf wären qualitativ besser gewesen aber der als Fußballer etwas phlegmatisch daherkommende „Kaiser“ war mir damals nicht so sehr sympathisch. Die „UWE“-Schuhe, sozusagen das Einsteigermodell von Adidas, trugen viele Mannschaftskollegen voller Stolz auf den Platz. Aber nicht nur die vier Jungs, die selbst den Vornamen Uwe trugen, weil Uwe Seeler ihre Väter vor Jahr und Tag mal nachhaltig beeindruckt hatte. Und dass es für Fußballschuhe vollkommen ausreichte, nur UWE zu heißen, ganz ohne den Zusatz Seeler, das sprach schon auch für sich.

Pünktlich zum Namenstag, am 20. August, sollte ich sie geschenkt bekommen, meine ersten Fußballschuhe namens „UWE“. So war der Deal. Und was lag dann tatsächlich auf dem Gabentisch? Ihr ahnt es schon. „Pelé“! Höchstpersönlich! Schwarz-Weiß in Schuhform und von Puma sorgfältig mit Seidenpapier in einem Karton verpackt. Schön und gut, aber das hatte ich nicht bestellt. Der Schockzustand mit leichtem Tränendruck und sprachloser Stille dauerte einige Minuten. Ein paar Beschwichtigungen und Erklärungen später war die Welt aber wieder in Ordnung. Auslaufmodell, günstiger Preis, Puma sei robuster und im Übrigen sei Pelé der mit Abstand größte Fußballer aller Zeiten. Viel größer als Uwe! Wer wollte da schon widersprechen. Und da es in dem Alter natürlich etwas dauernd, bis man in die Fußstapfen eines solchen Weltfußballers treten kann, haben meine Eltern diese Schuhe gleich anderthalb Nummern größer gekauft. Ganze zweieinhalb Jahre hat mich „Pelé“ danach auf den Fußballplatz begleitet und ich wurde dort nicht müde, die Vorzüge des „Edson Nascimento dos Santos“ zu preisen, als Schuh und als Fußballer. Der Name „Pele“, ganz ohne Accent aigu gesprochen, war dann auf dem Platz im Hinblick auf besonders talentierte Kollegen wieder öfter in aller Munde. Leider nicht auf mich bezogen. Das Tragen der Pelé-Schuhe hatte sich nicht sonderlich qualitätsfördernd auf mein Fußballspiel ausgewirkt. Ich blieb eher so der „Hacki“ Wimmer.

Gehegt und gepflegt habe ich meine ersten Fußballschuhe trotzdem. Das Leder war wöchentlich gewixt und poliert selbst dann noch im tadellosen Zustand, als die rote Schlacke des Berkel-Stadions die Plastikstollensohle längst bis auf den letzten Millimeter abgeschliffen hatte. Irgendwann gingen meine Pelé-Schuhe dann doch den Gang alles Irdischen. In diesem Fall in die Mülltonne. Der große Pelé selbst ist dagegen immer noch auf dieser Welt. Danke Pelé für meine Erinnerungen an meine ersten Fußballschuhe und einfach dafür, dass es so einen grandiosen Fußballer wie Dich gibt. Und, ach ja, alles Gute noch nachträglich zum Achtzigsten Geburtstag!

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