Leipzig 0 Bremen 4

Warum gilt die Leipziger Vereinsbehauptung als Gottseibeiuns des Fußballs? Was hat das mit Heimat zu tun? Einige pseudophilosophische Antworten im prophetischen Bulletin des 19. Spieltages.

In Düsseldorf hatten sie Pfeifen verteilt. Und die Fans pfiffen, was das Zeug hielt. Rasenballsport Leipzig war dagegen immun. Nach einer Viertelstunde unter Trillerpfeifen lag Rangnicks Mannschaft 3:0 vorne. Allen anderen gilt Red Bull als schlimmstes Gift der Liga, als Sensenmann jeder Fußballtradition und als leibhaftiger Antichrist des gepflegten Fußballwochenendes.

Warum eigentlich? Neulich erkundigte sich die Mutter eines Freundes, was so besonders schlimm sei an den Leipzigern. Die Anderen würden doch auch Werbung machen. Und tatsächlich... wenn man das feine Bulletin der letzten Woche zur Hand nimmt, in dem sich Bernhard über das unsägliche VfB-Marketing beschwerte, unterscheiden sich Stuttgart und Leipzig nur graduell im Bezug auf Marketing-Penedranz. Daran kann's also nicht liegen. Das ist kein Trost, aber tatsächlich geht es um mehr als Red Bäh. Die Plörre spielt eine Nebenrolle. Auch der stinkreiche Brausekönig interessiert nicht. Es geht um mehr.

In Wahrheit geht es um Heimat und wie wir Fans uns darin verwurzelt fühlen. Jeder Verein kann das aufweisen – bis hinunter in die Sicherheitsliga. Diese Verwurzelung ist der Grund, warum die Leute ins Stadion gehen. Zugegeben, manche Nerds wollen Fußball sehen - und "Hauptsache ein gutes Spiel". Das sind diejenigen unter den Zuschauern, die von Anderen schief angeschaut werden. Denn die überwiegende Mehrzahl drückt ihrer Mannschaft den Daumen. Und zwar so heftig, dass sie manche Manieren vergessen. Sie gehen hin, weil sie Rituale ausleben können, die ihnen lieb sind - und zwar gemeinsam mit den Freunden. Mit anderen Worten: Sie leben ihr Heimatgefühl aus. Christoph Ruf hat das letzte Woche in seltener Klarheit auf den Punkt gebracht (im Video unten ab etwa 28:00). Ruf sagte in einer Diskussion über Fußball und Heimat wörtlich: "Das Stadionerlebnis hat viel damit zu tun, wie sich die Fans selbst organisieren. Das ist von den Vereinen nur bedingt zu steuern." Aha!

Fan-Experte Ruf hat bereits viel Erhellendes über den Fußball und seine Fans geschrieben. Seine Feststellung spricht uns Fans aus dem Herzen. Ruf stellt fest, dass die Fans den Verein machen. (Und nicht der Verein die Fans formt). Die Fans sind es, die Auftreten, Image und Charakter eines Klubs definieren. Und weil wir das so gewohnt sind, reagieren wir so empfindlich auf Vereinsmarketing. Ich kenne Fans, Werber von Beruf, die ihrem eigenen Verein ein professionelles Marketing attestieren – und trotzdem mögen sie nicht, was sie vorgesetzt bekommen. Der Grund liegt auf der Hand. Nicht Fußballsehen sehen ist das Produkt, das ein Verein verkauft. Sondern die Identifikation damit. Und diese sehr persönliche Verbundenheit möchte man nicht vorgeschrieben bekommen, und von einem Vereinsmarketing gleich gar nicht. In so fern ist Marketing so attraktiv wie aufgespritzte Lippen: eine Beleidigung für echte Kenner. Statt zum Knutschen einfach nur zum Kotzen. Eigenmarketing ist eine Beleidigung für jeden, der das Produkt selbst gemacht hat - und dann ansehen muss, wie es meistbietend vermarktet wird.

Damit sind wir beim tieferen Grund des Leipzighasses. Als einziger Verein in Deutschland fehlt den Rasenballsportlern der legitime Gründungsimpuls: die echte Heimat. Das Kunstprodukt ist aus strategischen Gründen in Leipzig gelandet. RB heißt in Wirklichkeit eben doch Red Bull. Die 17 Klubmitglieder betrügen alle, die eigenen Fans, die Liga und sogar die gegnerischen Fans. In Wirklichkeit handelt es sich um eine heimatlose Marketingmaßnahme. Allein durch seine Anwesenheit verarscht die RB Fußballklubbehauptung ganz Deutschland. Sie behauptet: Rasenballsport. Sie ist: Red Bull Leipzig. Diese Verarsche wird dem Verein auch noch in 50 Jahren angelastet. Es ist also keine Frage der mangelnden Tradition. Es ist eine Sache der fehlenden Legitimation. Leipzig ist so bäh wie die Plörre in den Dosen. Wer den Fußball liebt, wird das nie vergessen. Und wenn sie noch so schönen Fußball spielen. Leipzig wird ewig dafür stehen, dass man Fußball ohne Heimat vergessen kann.

Und wer hat das mit dem Marketing wieder am schnellsten kapiert? Die Bremer! Seit einigen Jahren läßt es Werder so aussehen, als würden die Fans selbst die Werbekampagne übernehmen. Cooler Move. Werder lässt per Plakat diejenigen zu Wort kommen, die den Verein ausmachen. Lasst die Fans sprechen - und am besten einen Propheten wie Tim Bandisch, den alle am Deich nur als Deichtim von der Sportsbar kennen. Leipzig: 0 Bremen: 4. Kantersieg durch Heimvorteil.

PS. Hier der Link zum Statement von Christoph Ruf (ab Min. 28:00): #MeinHeimspiel
Wer es von Anfang anschaut, dem ist nicht zu helfen.

Und hier die feine Werder-Kampagne mit Prophet Tim Bandisch in der Hauptrolle.

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