Abschließende Worte zum Fußball

Schriftsteller Ror Wolf (1932 - 2020) war auf seine Art der erste Prophet der Bundesliga. Die Botschaften seiner grotesk-dokumentarischen Collagen aus den Siebzigern sind aktuell wie eh und je. "Die heiße Luft der Spiele" - eine Würdigung.

Die gute Laune sank gemütlich in roten Hosen von links nach rechts drucklos auf klebrigen Boden dahinpätschernd weinrot stark in die Breite ohne Pfeffer und Salz im Oktober mit erschreckenden Blößen auswärts zerpfiffen klein klein verstolpert kopflos verschleppt auf dem falschen Fuß. Schwarz wiegte skeptisch den Kopf.

Wenn man den Einen benennen müsste, der die Fußballkultur einst erfunden hat, dann ist es nicht falsch, mit Ror Wolf zu beginnen. Heute schmückt sich ja jeder mit dem Etikett Fußballkultur, der keinen Ball stoppen kann und stattdessen über Fußball spricht, schreibt, podcastet, bloggt, malt oder gleich ein ganzes Magazin herausgibt. All diesen ist Ror Wolf längst entwischt. Der Schriftsteller und spätere Künstler vieler Disziplinen begann Mitte der Sechziger Jahre damit, den wortmächtigen Fußballalltag zu sammeln und zur Kunst zu verdichten. Das war schweißtreibend und mühsam. Aber im Resultat war es Ror Wolf, der aus der ordinären Fußballbesprechung eine Kunst erschuf - und das zu einer Zeit in der jeder, der etwas mit Kultur am Hut hatte, nasrümpfig wegschaute, wenn Schienbeinschützer über den holprigen Boden getragen wurden. Überhaupt der Boden. Ein Wort zum Boden.

Naßkalt. Nieselregen. Weicher wälzender Nebel. Ein Wort zum Boden. Der Boden knallhart knöcheltief. Der Boden knochentrocken. Der Boden rutschig glitschig seifenglatt. Dulz trug an diesem Tag die Neun auf dem Rücken. Die gute Laune sank. Schwüle. Schwerer schwieriger Boden.

Dabei blieb Ror Wolf stets auf dem Boden der Tatsachen. Er war ein Sammler. Mit Tonbandgeräten hielt er fest, was Spieler und Trainer, vor allem Reporter und Trainingskiebize absonderten. Wolf ersammelte sich das erste Tonmagazin deutscher Fußballsprache. Ein Collagist der Oh Töne. Später, nachdem er mit dem Fußball abgeschlossen hatte, fügte er auch andere Wortfetzen, Bilder und beliebige Fundstücke so zusammen, dass ein künstlerisches Neues entstand. Er zerschnippelte alles, sogar seinen eigenen Namen. Für Ror trennte er das R aus seinem ersten Namen Richard heraus und isolierte das ORaus seinem Zweiten Namen Georg. Wenn er unter Pseudonym schrieb, dann unter Raoul Tranchirer. So ähnlich wie Richard von hinten gesprochen. Nur, dass ein Tranchirer einen veritablen Zerschneider ergibt.

Populär wurde das, was Wolf zusammenschnitt freilich nie. Je nach Kunstverständnis bleibt man dran oder lässt es eben sein. Jürgen Roth versuchte kürzlich die grotesken Resultate Wolf'scher Klebekunst im Magazin Der Tödliche Pass zu sezieren. Er spricht davon, dass Wolf "Mosaike der Weltverwirrung, der (durchaus erotischen) Erregung, der komischen Konfusion, der Trivialitätstumulte und der schönen Fügung komponierte, sich auch filmischer Verfahren bedienend und die knackenden und reibenden und knirschenden und kantigen Verben liebend." Aha.

Ja ja wissen Sie, es gibt zwei Möglichkeiten, es gibt Amateure und Profis, und meiner Auffassung nach, meiner Auffassung nach, das hab ich schon immer betont, ist die Bundesliga ein Unternehmen geworden, und zwar ein Unternehmen, das man vergleichen kann mit jedem Großindustriebetrieb, und dementsprechend müssen dann auch wolln mal sagen – das ganze System ... vor allen Dingen Bezahlung und so weiter, newahr

So nahm es Ror Wolf in den Expertengesprächen auf. Das waren Mitschnitte der Unterhaltungen am Rande des Trainingsplatzes. Irgendwann in den Siebzigern.

Un wenn die Kameradschaft da wäre (heute wahlweise Mentalität oder Identifikation), grade bei den großen Spielern, dann täten die einen viel bessern Fußball zeichen; aber so ist der Neid da, der ein kricht soviel, der andere kricht soviel, und die anderen, die machen hintendran, da is doch immer keine richtche Lust. Was früher da war, die waren kameradschaftlich."

Der Sprachverdichter konnte sich seine eigenen Kommentare schenken. Kein Wort ist erfunden, wusste er, schließlich hielt sich Wolf nur an das, was er mit seinen Tonbandgeräten aufgenommen hatte. Übrigens in einer Zeit, als man für den Schnitt eine Schere verwendete. Das führte auch dazu, dass ihm die Technik, der Fußball und vermutlich seine eigene Akribie dermaßen viel Zeit raubte, dass er plötzlich seine Wortschere an den Nagel hing. Im Buch Die heiße Luft der Spiele formulierte Wolf im Jahr 1979 Abschließende Worte zum Fußball:

Es geht nicht um Restverwertung. Die Behauptung allerdings, dass ich mich nun ausreichend mit dem Thema beschäftigt habe, widerspreche ich nicht. Der Fall ist beendet. Das ist mein Abschied vom Fußball.

Ror Wolf beendete seine Arbeit am Fußball zu einem Zeitpunkt, an dem die späteren Fußballkulturschaffenden noch gar nicht begonnen hatten. Im Februar dieses Jahres ist Wolf nach langer Krankheit gestorben. Er hinterlässt einen unermesslichen Fundus. Teile davon werden im Deutschen Literaturarchiv Marbach aufbewahrt. Andere Einzelteile sind im Netz zugänglich.

-[gt] "Schwierigkeiten beim Umschalten"

Ror Wolf: In Schwierigkeiten beim Umschalten wird die Fehlschaltung, der Schrecken der Live-Sendung, auf die Spitze getrieben.

-[gt] Cordoba Teil 1Teil 2 (in nachbearbeiteter Fassung)

Ror Wolf: Ein düsteres Drama für Deutschland, ein unglaubliches Trauerspiel. Und zugleich ein gigantischer Sieg für Österreich, ein totaler Triumph. Das pikante Weltmeisterschaftsspiel von 1978 wird mit Hilfe der beiden Original-Reportagen vorgeführt. Vorgeführt werden auch zwei Arten, Fußball zu kommentieren. Für Deutschland berichtet Armin Hauffe: das ist kühle, nord-westdeutsche Schule, gedämpft, allenfalls kopfschüttelnd, am Ende verstimmt. Für Österreich kämpft Edi Finger: fassungslos zerknirscht zärtlich händeringend, am Ende ganz außer sich. Das neue österreichische Wunderteam hat den gealterteten Weltmeister in dei Tiefe gestürzt, nach 47 Jahren, in Cordoba, Juni 13 Uhr 45.

-[gt] Buch: Ror Wolf, Die Heiße Luft der Spiele, erschienen 1980 bei Suhrkamp

Wolf wurde 2006 zum Ehrenspielführer der deutschen Autorennationalmannschaft ernannt. "Und nun noch eine Durchsage in eigener Sache: an der Triübne und am Platzeingang befinden sich die Verkaufsstellen für Getränke und Bratwurst."

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