Delpierre weiß, was Kehrwoche ist.

Wer meint, dass alle VfB-Bücher bereits geschrieben sind, verpasst das Beste: die "Fußballfibel VfB Stuttgart" von Andreas Zweigle und Sebastian Rose. Eine Kritik.

"Anfangs noch unsicher und im Stellungsspiel manchmal desorientiert, verrichtet er jetzt seine Arbeit stets solide und mit großem Durchsetzungsvermögen im Zweikampf, immer schweigend und mit sanftem Blick. Seine 1,93 Meter verleihen ihm Präsenz und Autorität, er weiß mittlerweile, was eine Kehrwoche ist und hält den Strafraum meist besenrein. Delpierre ist nicht ganz so elegant wie Fernando Meira. Wenn ein Tipp-Kick-Männle laufen könnte, dann würde es so aussehen wie bei Delpierre, allerdings hat er dafür weniger Ausschläge in seiner Formkurve. Der Franzose und der Portugiese sind zusammen wie die Hochhäuser Romeo und Julia in Zuffenhausen: Nicht immer schön anzuschauen, aber sie beherrschen ihr Revier."

So hört sich das Vertikalbuch bereits in der ersten Spielminute an. Andreas Zweigle erzählt seine persönliche Fangeschichte anhand der 90 Minuten, die den VfB zum Meister machten. 19. Mai 2007. VfB gegen Energie Cottbus. Ausgang bekannt. Stuttgart eskaliert. Danach ging's bergab. Sebastian Rose übernimmt die undankbare Aufgabe, die letzten 10 Jahre zu ergänzen. Er schlägt sich wie ein Held. Diejenigen, die es mit dem VfB halten, kennen den vertikalpass, den Blog mit dem speziellen Vertikalsound. Sie werden die Fibel mit großen Erwartungen in die Hand nehmen. Überraschung: Niemand wird enttäuscht. Im Gegenteil. Ein Buch, wie Fansein an sich. Oft muss man Jahrzehnte warten für den perfekten Moment. Das Autorenduo kostet ihn gebührend aus.

Zweigle gelingt, was wenigen gelingt: Er erzählt als bekennender Schwabe vom Metzger, der Kehrwoche und Karl Allgöwer und wird dabei an keiner Stelle volkstümlich. Im Vertikalbuch entwickelt er seinen typischen Blog-Sound so weiter, dass aus einzelnen Einträgen ein Ganzes wird, das man in einem Zug verschlingen möchte. Damit dringt er tief ein in das, was man Literatur nennt. Wohlgemerkt: Mit einem Fußballbuch. Zweigle, so erfahren wir bereits auf der ersten Seite, wollte Ingenieur werden, wie Ohlicher einer war. Er wollte Mittelfeldstratege werden, wie Ohlicher einer war. Wir freuen uns, dass weder das Eine noch das Andere geklappt hat. Denn sein Plott geht auf. Der VfB ist Meister – in der Fußballfibel lernen wir, warum uns das heute noch so packt, dass wir sentimental werden.

"Heimat kann Geräusche bedeuten, Gerüche, kann Bilder im Kopf erzeugen. Heimat ist die Verbindung des Vereins mit meiner Lebensgeschichte. Heimat ist die gemeinsame Erinnerung an außergewöhnliche Ereignisse, gute wie weniger gute. Der VfB ist für mich wie ein Stück Familie. Ist mal der große Bruder zu dem ich aufsehe. Mal der schrullige Opa, wenn er von Tradition und alten Zeiten spricht. Mal 'ne Bitch, wenn der VfB sich wieder wie ein Pussy benimmt."

Zweigle der Romantiker, Rose als notwendiges Korrektiv. So funktioniert das Vertikalbuch. Eine kleine Ergänzung sei an dieser Stelle angebracht. Im Soundtrack der Fußballfibel VfB Stuttgart fehlt leider Element of Crime. Sänger Sven Regener hat seinen speziellen Sound in Literatur übersetzt. Nachzulesen in "Herr Lehmann". Zweigle und Rose machen ihm dieses Kunststück nach. Sie entwickeln ihren Blog zum Buch - und finden dafür die passenden Zutaten. Gegenüber all den Auftragsarbeiten und journalistischen Beschäftigungstherapien, die in den letzten Jahre in brustberingte Buchumschläge hineingebläht wurden, ist diese Fibel ein unvergleichliches VfB-Meisterwerk.

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