Der Überall-Endo

Nicht zu stoppen, kaum zu in Worte zu fassen. Beim VfB spielt eine japanische Kreuzung aus Xavi und Messi. Seine Superkräfte haben das wackelige Zweitligateam in die Bundesliga getragen. Der Versuch, das Phänomen zu beschreiben.

Ich kann nicht anders. Obwohl sich die Idee nicht bewährt hat. Vor ziemlich genau drei Jahren setzte ich mich an dieser Stelle für die Heiligsprechung eines VfB-Spielers ein. Es hat ihm nicht gut getan. Einige Wochen danach empfing seine frisch gekürte Heiligkeit die engsten Freunde im bescheidenen Anwesen in Stuttgarts Rennommierlage. Im Überschwang der Gefühle provozierte Benjamin Pavard einen veritabeln Killesberg-Skandal. Natürlich kann man selbst im Epizentrum des Pietismus feiern. Aber den Partymüll gleichmäßig auf die Müllschlucker der neureichen Nachbarschaft zu verteilen – das geht zu weit. Pavard hätte ahnen können, dass sich die neureichen Stuttgarter Futterneider darauf verstehen, original französische Packungen zweifelsfrei zuzuordnen. Der Indizienprozess fand vor dem Schiedsgericht des zuständigen VfB-Sekretariats statt, die von den Killesberger Hobby-Detektiven billig petzend angerufen wurden. Es muss genau diese Woche gewesen sein, in welcher der französische Springinsfeld beschloss, er werde den engstirnigen Schwaben zeigen, was eine Retourkutsche ist. Nur wenige Monate später kürte er sich in original französischer Verpackung zum Weltmeister. Derart dekoriert zog Pavard in die ureigene Heimat des wohlfeilen Neureichtums. Dort feierte der junge Weltmeister ein rundes Triple. Vielleicht sollte ich mich mit meiner Prophetie zurückhalten.

Geht aber nicht

Dass eine weitere Heiligsprechung unausweichlich ansteht, fürchte ich seit Monaten. Ich erinnere mich genau, wie sich der halbe Stehblock des Neckarstadions plötzlich anschaute, als hätte der Brezelmann kostenloses Dope unter den Fans verteilt. Schon nach wenigen Minuten des zweitklassigen Derby gegen Karlsruhe stellte man fest: "Hej, der kann ja kicken" - dabei trägt er unser Trikot!" Drei Null bei seiner Premiere gegen Karlsruhe. Kein Gegentor. Nicht mal eine Chance hatten die Badener. Bereits bei seiner Premiere torpedierte Wataru Endo das dumme Geschwätz vom allesüberstrahlenden Kollektiv. Endo erschien – und mit ihm die Macht über das gesamte Spielfeld. Die Altvorderen auf den Rängen blieben vorsichtig. In der Regel dauert es ein paar Spiele, bis der VfB die Neuzugänge auf sein Niveau herunter zieht. Aber der superdrye Superman widerstand der Regel. Der Einsachtundsiebzig-Riese, der mit seiner geduckten Haltung sogar etwas kleiner aussieht, legte sich mit seiner Omnipräsenz hermetisch übers ganze Spielfeld. In seinen ersten Auftritten verhinderte der Überall-Endo den von Tim Walter angeordneten Zweitliga-Harakiri praktisch im Alleingang.

Der Anti-Pavard

Die beckenbauerische Aufrichtigkeit des Pavard ist seine Sache nicht. Endo lenkt das Spiel von unten - aus der Unauffälligkeit. Die Schaltzentrale im Sechser-Raum dient ihm als Homebase. Der japanische Ballverteilomat sprengt in steter Regelmäßigkeit die Opta-Datenbank. Längst teilt die Firma drei Mitarbeiter ein, um Endos Ballaktionen zu protokollieren. Ballverluste produziert Endo lediglich, um nicht mit einem Roboter verwechselt zu werden. Passiert ihm einer, verwandelt sich der Japaner an Ort und Stelle in eine klebrige Spinne, setzt sich dergestalt auf die Hacken des Gegenspielers um so lange zu sticheln, bis sich der Ball wieder unter Kontrolle seiner acht Beine befindet. Wer ihn spielen sieht, bekommt Mitleid mit denen, die Endo mit den Augen auf den acht Fersen bleiben müssen, um seine Leistung zu protokollieren. Unter den Top-Spielern beim Kicker rangiert der Japaner mit den Superkräften auf Platz 6. Das Versagen der Kicker Analysedaten ist erklärbar.

Die unsichtbare Macht der Vor-Orientierung

Die Wortspielerei eines Endoskops, mit dem der Allgegenwärtige das Spielfeld auf Brennpunkte durchleuchtet, ist an dieser Stelle deutlich unter Niveau. Dass Endo Kräfte besitzt,die mit Physik und Technik nicht zu erklären sind, ist inzwischen unumstritten. Sein angewandtes Realtime-Mapping lässt ihn selbst bei einer komplett kollabierten Spielsituation eine Lösung finden, um Ball an den eigenen Mann zu bringen. Endo spielt, als empfange er permanent sämtliche Ortungsdaten von Spieler und Gegner. Den riesigen Informationsstrom verarbeitet der Endo-Rechner intuitiv. Deutsche Trainer haben mit dem Begriff der Vor-Orientierung lediglich einen Hilfsbegriff um das japanische Positionsphänomen zu erklären. Endo dirgiert das Spiel als hätte man seinen Charakter als Kreuzung von Xavi und Messi angelegt. Als wären diese Superkräfte noch zu wenig, beherrscht er darüber hinaus den Luftraum. Beim Kopfballduell wachsen dem mächtigsten aller Mangafiguren förmlich Flügel. Wo andere den Ellenbogen ausfahren, um den Schwung nach oben mitzunehmen, hebt sich der Endo-Lift wie von selbst empor, als hätte einer das oberste Stockwerk eines Tokioter Wolkenkratzers gedrückt. Wie er das macht, können wahrscheinlich nur die Produzenten fernöstlicher Zeichentrickserien erklären.

Vier Kinder hat er auch, der Endo

Warum der größte Spieler des zeitgenössischen Morgenlandes ausgerechnet die traditionellen Underperformer aus dem Tiefschwäbischen als Karrierestation wählte, ist mit Logik kaum zu erklären. Vielleicht mit Comic. Der Manga mit den Superkräften kam über Belgien, dem Ursprung der gezeichneten Kunst in Europa in die heimliche Comic-Hauptstadt Deutschlands. Er konnte nicht ahnen, dass die Stadt der Comicverlage so unbunt daherkommt. So gesehen könnte Endo, der Meister aller darstellenden Künste, den Stuttgarter noch lange erhalten bleiben. Im überdrehten Fußball-Business gilt ein 27jähriger mit verwirrenden Datenbank-Einträgen als hohes Risiko. Den Verantwortlichen beim VfB sei an dieser Stelle nahegelegt, sich fürsorglich um die gesamte Familie zu kümmern. Endo unterlaufen zwar niemals leichte Fehler, aber japanische Schriftzeichen wären halt verräterisch. Enorm, was bei sechsköpfige Familien so Woche für Woche anfällt.

Verwandte Artikel