Schwamm drüber!

Der VfB Stuttgart hat für sich einen Schlussstrich unter die sogenannte „Datenaffäre" gezogen. Einen dicken, schwarzen Strich, der selbst die Namen der Schuldigen verdeckt. Wir bringen etwas Licht, in diese schwarze Finsternis.

Wir müssen nun nach vorne schauen! Selten waren sich das Präsidium, der Vereinsbeirat, der Vorstand und selbst der Aufsichtsrat so einig: In den am 15. März verkündeten, „umfassenden Informationen zum Abschluss der Datenaffäre“ bemüht man sich einen Schlussstrich zu ziehen, der keine Zweifel mehr hinterlässt: „Mit dem Abschluss des Bußgeldverfahrens und der Untersuchungen ist ein wichtiger Meilenstein erreicht, um wieder nach vorne schauen zu können. Das bedeutet aber eindeutig nicht: ‚Schwamm drüber‘. Es bleibt unsere gemeinsame Aufgabe, durch künftiges Verhalten Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Dabei bitten wir alle VfB-Mitglieder, Fans, Partner und Sponsoren um ihre Unterstützung.“ Ins Sprachreine übersetzt, soll das in etwa heißen: Sorry, ist alles irgendwie blöd gelaufen, tut uns ja auch leid, kommt nicht wieder vor und alles wird wieder gut! Eine Entschuldigung, ohne dafür zu Kreuze kriechen zu müssen, irgendwie möglichst sympathisch rüberkommen und dabei ausgerechnet die, deren Vertrauen man aufs Übelste missbraucht hat, gleich wieder mit in die Verantwortung für die zukünftige Harmonie zu nehmen. Jetzt ist aber auch mal gut! So beenden PR-Profis solche Konflikte, die für den VfB Stuttgart in den letzten Monaten eine echte Zerreißprobe dargestellt haben. Ist das wirklich so einfach?

Am Arsch die Räuber! Nein! Denn, Sprache, vor allem in solcherart manipulierender PR-Version, ist sehr verräterisch. Fangen wir mal bei der Überschrift des Schlussstrichtextes des VFB an: „Umfassende Informationen zum Abschluss der Datenaffäre“ steht dort, vorsichtshalber in den Formaten „Kursiv“ und „Fett“ gesetzt (für die Millennials: „italic“ und „bold“). In der Typografie ist eine derlei Aufmerksamkeit heischende Protzformatierung ein absolutes No-Go! Wer in der geschriebenen Sprache etwas dermaßen deutlich überbetonen möchte, der hat offensichtlich ein Problem. Er möchte etwas Wertloses an den Mann oder die Frau bringen. Ein nicht ganz so großes Problem wie die Großschreib- und Rufzeichen-Faschisten in den Hasskommentarspalten im weltweiten Internet, aber immerhin. Solche Art von Textformatierungen symbolisieren das laute Geschrei derer, die den dürftigen Inhalten ihrer Texte zumindest typografisch das gewünschte Gewicht verleihen möchten. Auch die Verantwortlichen beim VfB haben so etwas wohl nötig, was die genaue Betrachtung des Textinhaltes beweist.

Bereits in den Worten der genannten Überschrift wird das deutlich. Erstens, beinhaltet der darauffolgende Text alles andere als „umfassende Informationen“. Zweitens, die Informationen genannten Inhalte sind ja mit zahlreichen Entschuldigungen für das Weglassen von Informationen versehen, ja keinesfalls „umfassend“ und doch eher sehr „lückenhaft“. Und die sogenannten „Informationen“ selbst verdienen dazu, hier und da, eher die Bezeichnung „Desinformationen“ als mutmaßlich falsche Informationen zur Täuschung. Ob bewusst oder auch unbewusst. Mit, drittens, dem Wort „Abschluss“ geht’s weiter. Es suggeriert in manipulierender Weise den Eindruck, das etwas final beendet wurde, was man in diesem Fall und aktuell von der sogenannten „Datenaffäre“ wohl kaum ernsthaft annehmen könnte. Nichts ist einfach so aus der Welt geschafft oder abgeschlossen, nur weil man es sich sehnlichst so wünscht. Das „Basta-Syndrom“ lässt grüßen.

Und mit der „Datenaffäre“ wären wir schon bei viertens in dieser kleinen entlarvenden Sprachkritik der Überschrift. Denn eine „Affäre“ wird verharmlosend etwas immer dann genannt, wenn es gilt, die eigentlich massiv zu befürchtenden Konsequenzen möglichst im Rahmen zu halten. Ihr wisst schon. War ja nur so eine kleine Affäre, nichts Ernstes mein Schatz! So wird PR-technisch aus einem Betrug oder Vertrauensmissbrauch plötzlich eine doch eher lässliche Sünde. So wie beim ADAC etwa, der spricht bei Autofahrern die im Temporausch vorsätzlich das Leben anderer gefährden auch ungern von „rücksichtslosen Rasern“, sondern eher von „Tempo- oder Verkehrssündern“. Wer könnte einem reuigen Sünder nicht verzeihen. Die Sprache macht‘s. Aktuell auch wieder im Bundestag zu hören, wo der CDU das Wort Korruption bei den der Vorteilsnahme im Amt überführten Kollegen nicht über die Lippen kommt. Selbst gestandene Journalisten lassen sich durch das verharmlosende sogenannte „Wording“ der sofort angelaufenen Kampagnen-Maschinerie blenden und nennen einige der abscheulichsten Korruptionsfälle der jüngeren Vergangenheit lieber „Masken-Affäre“ oder, etwas mehr Millennial-like, auch „Masken-Gate“.

Was die Verantwortlichen des VfB verharmlosend „Daten-Affäre“ nennen ist ein klar definierter und vorsätzlich begangener Verstoß gegen, auch schon vor der Einführung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bestehende, strafbewehrte Gesetze. Und das zum Nachteil der Mitglieder des Vereins, da die Intention eindeutig und bewiesenermaßen die Manipulation ihres Stimmverhaltens bei den Bemühungen zur Ausgliederung der Fußballabteilung darstellte. Ein solches Vergehen gegen bestehende Gesetze nennt man auch „strafbares Vergehen“ oder schlicht „kriminelles Verhalten“. Und dieses „strafbare Vergehen“ bzw. das kriminelle Verhalten der (ehemaligen) Verantwortlichen beim VfB ist mit dem Hinweis auf Verjährungsfristen nicht einfach aus der Welt geschafft. Im Text zum „Abschluss der Datenaffäre“ ist jedoch klar ersichtlich, dass die heute Verantwortlichen beim VfB weder dieses mittlerweile verjährte strafbare Vergehen aus den Jahren 2016/2017 als ein solches eingestehen, noch das aus einem vergleichbaren Vorgang aus dem Jahre 2018, das jüngst mit einem Bußgeld von 300.000 Euro geahndet wurde. Deutlich wird darüber hinaus auch, dass beim VfB, zumindest offizell, niemand entgegen aller Beteuerungen an der maximalen Transparenz zur Aufklärung dieser Vergehen interessiert ist. Die Sprache bringt es ans Licht.

Der Text beinhaltet das im PR-Besteck zuverlässigste Instrument der Meinungsmanipulation, das Frage/Antwortspiel. So behält man schon mal die Hoheit darüber, zu entscheiden, was nun fragwürdig sein sollte. Und, ebenfalls sehr praktisch daran ist, dass man die dazu genehmen Antworten gleich selbst mitliefern kann. Bevor es richtig los geht, steht gleich zu Beginn im Text schon mal die Bitte um Vergebung der Sünden: „Dem VfB Stuttgart ist bewusst, dass die Datenaffäre über das rechtliche Fehlverhalten hinausgeht, das juristisch beurteilt und behördlich sanktioniert wurde. Sie hat vor allem einen Vertrauensschaden gegenüber Mitgliedern und Fans verursacht.“ Und danach dann, in „Fett“: „Dafür bitten wir aufrichtig um Entschuldigung.“ Schuld eingestanden, Ablass gezahlt, Reue gezeigt und damit ist die Sache erledigt! Ein guter Abschluss, sozusagen.

Gleich im nächsten Absatz ist von Schuld und Sühne schon keine Rede mehr. Da geht es dann plötzlich um im Magazin Kicker „erhobene Vorwürfe auf Grundlage einer unbekannten Quelle“, die es durch die forensische Kanzlei Esecon und den Landesdatenschutzbeauftragten „aufzuklären galt“. Kompromisslos, versteht sich. „Alles wurde natürlich aktiv und kooperativ unterstützt“. Was dabei rausgekommen sei? Moment, dass sei jetzt nicht ganz so einfach zu beantworten, da sich der VfB in „laufenden, juristischen Auseinandersetzungen befinde, die in Verbindung mit den aufgearbeiteten Vorgängen stünden“. Aha! „Eine Veröffentlichung der während der Untersuchung erstellten Berichte und Gutachten sei deshalb nicht möglich. Sorry!“ Warum genau? Die Berichte „enthielten eine Vielzahl personenbezogener Angaben, die selbst pseudonymisiert auf die realen Personen schließen ließen. Eine Veröffentlichung sei daher juristisch angreifbar.“ Klar, wegen Datenschutz und so.

Aus dem gleichen Grund hatte ja Bundestagspräsident Schäuble gerade die Veröffentlichung der Daten über die Untersuchung der Verwicklung von Abgeordneten bei den Deals zur Maskenbeschaffung in der Pandemie untersagt. So wie der Datenschutz die Identifizierung möglicherweise korrupter Abgeordneter unmöglich macht, steht der Datenschutz also auch der Nennung derjenigen entgegen, die sich eines strafbaren Vergehens gegen den Datenschutz schuldig gemacht haben.

Klingt kompliziert, ist aber so. „Und den Esecon-Bericht zu veröffentlichen, das bringe eh nichts, da die Inhalte durch die Ausführungen des Landesdatenschutzbeauftragten ja längst überholt seien, die man aber aus den bereits genannten Datenschutzgründen ja ebenfalls nicht veröffentlichen dürfe.“ Und „da die umfassende Information trotzdem ein berechtigtes Interesse der VfB-Mitglieder darstelle“, folgt im Text dann das bereits genannte Frage-Antwortspiel.

Keine der Antworten enthält abei auch nur ansatzweise eine Information, die nicht zuvor schon durch die Presse und gegen den großen Widerstand mancher VfB-Verantwortlicher ohnehin schon öffentlich gemacht wurde. Schlimmer noch, wird das strafbare Vergehen der „unbekannt“ dafür Verantwortlichen auf unerträgliche Weise sogar noch beschönigt. Die Online-Kommunikation des VfB sei damals als unzureichend angesehen worden, man wollte ja nur zu verschiedenen Themen auch kritisch eingestellte Fans und Mitglieder in den sozialen Medien erreichen und überhaupt: Eine schriftliche Vertragsvereinbarung mit dem dazu gewählten Dienstleister sei für die infrage kommenden Verstöße gegen das Datenschutzgesetz wegen unzureichender Protokollierung nicht auffindbar. Nur deswegen seien die Mitgliederdatentransfers ja überhaupt rechtswidrig gewesen.

Ja, und der erneute Datentransfer im Oktober 2018, das war ja ganz mysteriös. Da wussten die Verantwortlichen beim VfB ja gar nicht was da vor sich gegangen war. Wenn nicht jemand den Landesdatenschutzbeauftragten anonym darüber in Kenntnis gesetzt hätte, wären dem VfB ja sogar die 300.000 Euro Bußgeld für diesen Verstoß auch noch erspart geblieben. Man sei darüber ja vollkommen überrascht gewesen, da jemand die fragliche E-Mail gelöscht haben müsse und sie daher im VfB-Mailsystem gar nicht aufzufinden war. Das Wie und Warum in dieser Sache vermochten die Beteiligten weder der Esecon noch den Landesdatenschützern zu erklären. Der Zweck der Datenübermittlung 2018 sei daher vollkommen unbekannt. Dass exakt zu der Zeit die mediale Kampagne zur Vorstellung des zweiten Ankerinvestors Lagardère an Fahrt aufgenommen hatte, die nur aufgrund der sportlichen Talfahrt des VfB und spätestens mit dem Abstieg per Relegation beendet wurde und dass dieser Umstand auch den „Dienstleister-Intimus“ Herrn Dietrich sowie diverse andere mit der Investorensuche befasste Aufsichtsratsmitglieder mit in die Sache hineingezogen hätte – ja darauf könnte man kommen, muss man aber nicht.

Beim VfB wird immer wieder und alle Nase lang betont, dass man sich als VfB AG keine Vereinsmeierei leisten könne und „ein professionelles Wirtschaftsunternehmen“ sei. Auch in dieser „Datenaffäre“ müsse man sich an Standards halten und „die Rechte der Mitarbeiter“ schützen. In einem anderen Wirtschaftsunternehmen hätte jedoch ein Skandal dieser Größenordnung, im Zuge dessen ein Vorstandsvorsitzender dazu seinen Aufsichtsratsvorsitzenden auf infame Weise mit haltlosen Beschuldigungen überzieht, ganz andere Konsequenzen gehabt. Da wäre der Vorstandsvorsitzende sicherlich nicht mehr an seinem Platz und Mitarbeiter, die sich derartiger Vergehen schuldig gemacht haben, wie beim VfB geschehen, würden nicht nur entlassen, sondern dazu auch noch, völlig transparent, auf Schadensersatz verklagt.

Und zum Abschluss kommt der Text dann, wie anfangs schon erwähnt, zum wichtigsten Hinweis: Jetzt ja nicht denken, dass wir beim VfB denken, dass sie jetzt denken, dass sei jetzt so eine „Schwamm drüber – weiter geht‘s“-Erklärung. Dabei sollte doch jedem VfB-Mitglied, das den Text bis zu den abschließenden Sätzen im Fazit „der umfassenden Information“ gelesen hat wissen, dass es sich genau darum handelt. Das ist genauso beschämend für den Verein, wie alles, was in dieser „Daten-Affäre“ jemals ans Licht gekommen ist.

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