Ungeschickt abgeschickt

Kann ein offener Brief die Welt verändern? Die VfB-Welt schon. Thomas Hitzlsperger hat es versucht. Mit Erfolg.

"Liebe Leserinnen, liebe Leser," beginnt die Post ihren offenen Brief an alle Briefschreiberinnen und Briefschreiber, "wer Briefe schreibt, möchte etwas bewirken, möchte für sich oder sein Anliegen werben. Und ein Anliegen, eine Information oder ein Wunsch hat schwarz auf weiß einfach mehr Gewicht und wird nicht vergessen." So schreibt die Post in einer Handreichung an alle, die Briefe schreiben. Sie weiß, dass Worte schwer wiegen. Zurückholen kann man sie nimmermehr. Briefpapier ist träge. Per Messenger verschickt, kann man Worte zurückholen. Wer twittert, kann seine Nachricht löschen - und hoffen, dass niemand einen Screenshot gemacht hat. Den offenen Brief von Thomas Hitzlsperger kann niemand mehr zurückholen. Auch er selbst nicht. Wenn er überhaupt wollte.

Hitzlsperger hat auf "Senden" drückt. Kein Versehen. Von langer Hand geplant. Er will Präsident werden anstelle des Präsidenten, in dem er Formulierungen verwendet, die genau den Verein beschädigen, bei dem er Präsident werden möchte. Er verrät Interna. Er missbraucht seine Reputation, um Andere öffentlich bloßzustellen. Er lässt jeden Anstand fahren. Er bringt den Vereinsbeirat in eine unlösbare Zwickmühle, also das Gremium, das zuerst über seine Bewerbung entscheiden muss. Mal ehrlich: Wie ungeschickt ist das denn? Seine Bewerbung verkehrt sich ins Gegenteil. Nur eines kann man ihm nicht vorwerfen: Mangelnde Transparenz. Es geht um die Macht. Hitzlsperger hat sich klar positioniert. Er hat sich auf die Seite des Despoten geschlagen, den die Mitglieder vor einem Jahr in die Wüste schickten.

Hitzlsperger möchte zum Hitzlshoeneß aufsteigen. Der Brief ist getränkt von großbayrischem Sendungsbewusstsein nach dem Motto: "Ich als VfB musste handeln". Das offene Pamphlet liest sich als Sittengemälde aus dem Inneren einer Fußball-AG, die jeden Bezug zu Mitgliedern, Fans und normalen Menschen verloren hat. Seine Formulierungen sind geprägt von der fürsorglichen Kommunikationsdiktatur eines Oliver Schraft und dem diplomatischen Geschick eines Winfried Porth. Dabei hält sich Hitz für Vater Courage - und übersieht dabei, dass es als Mächtiger billig ist, Mut zu zeigen. Hitzlsperger zieht alle Register des gepflegten Populismus und wirkt dabei so deplatziert wie eine Kühlerfigur, die sich auf einen Daimler setzt. Irgendwas stimmt hier nicht.

Wenn es stimmt, dass ein offener Brief ein Eintrag ins Beschwerdebuch der Geschichte ist, wird es schwer werden, die Seiten wieder aus der VfB-Chronik herauszureißen. Hitzlsperger, der unter anderem den Verein "Gesicht zeigen" für ein weltoffenes Deutschland unterstützt, überfährt seinen Mitspieler Vogt mit kaltem Lächeln neben seiner Unterschrift. Dieses Bild prägt sich ein. Ein skrupelloses Lächeln.

Indem der Träger des Bundesverdienstkreuzes seinen eigenen Präsidenten Claus Vogt anpinkelt, demoliert er nicht nur den VfB, er gefährdet auch sein eigenes Lebenswerk. Idol verpflichtet. Der grundgute Hitzlsperger hat so viele Dinge in seinem Leben vorbildlich und richtig gemacht. Bis vor ein paar Tagen waren wir VfB-Fans stolz wie ein Fernsehturm, diesen Hitz in unseren Reihen haben. Dank Hitz begriffen wir uns als Vorreiter eines Fußballs, der mehr ist als 22 Rückennummern, die einem Ball hinterher springen. Wenn es einen Fußball gibt, der die Welt ein wenig besser macht, dann konnte er nur unter Vorsitz eines Thomas Hitzlsperger gespielt werden. Wir waren die Guten. Mit dem engagierten Hitz und dem integren Vogt als Aushängeschilder. Endlich passt etwas bei diesem Verein. Wir hätten es besser wissen müssen.

Jetzt kann es nur noch einen Ausweg geben. Engagiert und Integer müssen sich zusammen raufen. Naiv gedacht, zugegeben. Aber so schwer kann es eigentlich nicht sein. Die Datenaffaire aus der Zeit weißroter Feudalherrschaft muss aufgeklärt werden. Esecon muss die Unterlagen bekommen, die sie anfordern. Selbst dann, wenn Dinge drin stehen, die man in der Teppichetage lieber unter Verschluss gehalten hätte. Solange die Datenaffaire nicht aufgeklärt ist, lebt der Verdacht, dass die Ausgliederung auf Beschiss und Vetterleswirtschaft beruht. Die Leichen im Keller der VfB AG gehören benannt. Mit Vor- und Nachnamen. In der gesamten Mercedesstraße gibt es nur noch einen, der ein Ergebnis von Esecon glaubwürdig vertreten kann: Claus Vogt. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes hat sich disqualifiziert. Je schneller Hitzlsperger seine Bewerbung zurückzieht, umso weniger offene Briefe müssen wir in Zukunft schreiben. Es wäre ein Segen für den Fußball, den VfB und vor allem: für Thomas Hitzlsperger selbst.

Disclaimer:
Ja, ich kenne und schätze Claus Vogt. Wer tut das nicht?

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