Futboleras

Wie der Frauenfußball in Mexiko bei den inoffiziellen Weltmeisterschaften 1970 und 71 eine zuvor unerreichte Popularität erlangte und kurz darauf wieder für lange Zeit in der Versenkung verschwand … 

Viva México – Lang lebe Mexiko. Wer diese Worte in die Google-Suchmaschine eingibt, bekommt ganz oben in der Liste eine Frage serviert, die den Google-Nutzer_innen offenbar am meisten unter den Nägeln brennt: Wie ticken mexikanische Männer? Die dazugehörige Antwort beschreibt den gängigen Machismo im Land und konstatiert: In Mexiko sind Machos omnipräsent. Kein guter Platz für die Chancengleichheit von Mann und Frau, sollte man meinen. Das gilt auch für den Fußball in Mexiko, bei dem die Nationalauswahl der Frauen in den letzten Jahren sehr bemüht ist, an die Erfolge und die Reputation längst vergangener Zeiten anzuknüpfen. Die „Futboleras“ aus Mexiko sorgten vor über 50 Jahren bei der inoffiziellen Weltmeisterschaft des Frauenfußballs 1970 in Italien als Außenseiterinnen mit ihrer technischen Versiertheit und couragiertem Auftreten gegen die körperlich größer gewachsene Konkurrenz aus Europa für einiges Aufsehen. So sehr, dass Mexiko für die im darauffolgenden Jahr stattfindende, nächste inoffizielle Weltmeisterschaft als Gastland auserkoren wurde.

Die inoffiziellen Weltmeisterschaften 1970 in Italien und 1971 in Mexiko wurden von der in Italien gegründeten „Fédération Internationale et Européenne de Football Féminin“ (FIEFF) veranstaltet. In Italien nahmen 1970 neben den Gastgeberinnen und Mexiko die Nationalteams aus Schweiz, Dänemark, England, Österreich und der Bundesrepublik Deutschland teil. Wobei das deutsche Team keine Nationalelf im eigentlichen Sinn war, sondern vom SC 07 Bad Neuenahr gestellt wurde. Die Mexikanerinnen sorgten gleich im ersten Spiel mit einem 9-0-Sieg gegen Österreich vor 10000 Zuschauer_innen für ein erstes Ausrufezeichen. Im Halbfinale gegen Italien verloren die „Futboleras“ jedoch bei extremer Hitze vor nur 3000 Zuschauer_innen mit 2-1. Die mexikanische Presse war sich hinterher einig, dass dafür in erster Linie die überhart agierenden Verteidigerinnen Italiens und vor allem die parteiische Schiedsrichterin, ebenfalls Italienerin, verantwortlich gewesen seien. Das folgende Spiel um den dritten Platz gegen die Engländerinnen wurde, höchst verdient, wie eine mexikanische Zeitung berichtete, vor sehr spärlichem Publikum mit 3-2 gewonnen. 

Während die europäische Presse kaum Notiz von dem Geschehen in Italien während dieser inoffiziellen WM der Frauen nahm, waren sich die wenigen dazu publizierten Sportkommentare zumindest in einem Punkt einig. Immer wenn Dänemark, England und Mexiko beteiligt waren, boten die Spiele eine hohe taktische und spielerische Qualität, ganz so wie Fußballfans sich diese wünschen. Insbesondere die Däninnen, die das Endspiel gegen Italien mit 2-0 gewannen, spielten Anfang der 70er-Jahre bereits auf einem spielerischen Niveau, das dem heutigen im Frauenfußball nicht sehr viel nachstand. Auch in Mexiko wurden die guten Leistungen bei der inoffiziellen Frauen-WM sehr wohlwollend registriert. Als die mexikanische Frauenfußballdelegation heimkehrte, erwartete sie am Flughafen eine große Ansammlung von jubelnden Fans, die jenen bei der Begrüßung der Nationalelf der Männer in nichts nachstand. Für den mexikanischen Frauenfußball war diese erfolgreich absolvierte, inoffizielle Weltmeisterschaft, im gleichen Jahr, in dem Mexiko auch die Fußball-WM der Männer ausrichtete, ein entfesselndes Signal. Insbesondere auch die im Folgejahr im eigenen Land veranstaltete inoffizielle Frauen-WM sorgte danach für großen Zulauf beim Frauenfußball. Überall im Land war wegen der WM 1970 ohnehin das Fußballfieber ausgebrochen, doch nun hatten auch die Mädchen und Frauen ihre Role-Models, denen sie auf dem Platz nacheifern konnten. 

Die Spielerinnen dieser Generation trugen, wie auch die Fußballer Mexikos, eigene Künstlernamen. Da gab es etwa María Zaragoza genannt „La Borjita“, Alicia Vargas genannt „La Pelé“ oder etwa María Eugenia Rubio genannt „La Peque“. Letztere trug ihren Namen, „die Kleine“, da sie die kleinste Spielerin im Team war und dazu eine der besten Dribblerinnen.  Einer der Gründe, warum die FIEFF sich für Mexiko als Gastgeberland der inoffiziellen WM 1971 entschieden hatte, war die, zumindest im Vergleich zu Europa, hervorragend entwickelte Infrastruktur für den Frauenfußball. 1970 gab es im Hauptstadtbezirk bereits mehrere konkurrierende Ligen, darunter auch einen, als höchste Liga anerkannten regulären Spielbetrieb, mit den Frauenteams 15 verschiedener Clubs. Die galt es im Sinne der internationalen Fußballregularien zu koordinieren. Der im gleichen Jahr von mehreren Club-Vorsitzenden gegründete Verband „Asociación Mexicana de Futból Femenil“ (AMFF) gründete dazu die „Liga América“, in der 1970 bereits 28 Teams teilnahmen. Dazu gab es noch vier weitere Ligen ähnlicher Größe und auch in anderen Bezirken war der organisierte Frauenfußball auf dem Höhenflug. In Guadalajara etwa sind solche aus lokalen Initiativen entstandenen Ligen bereits seit 1959 dokumentiert.

So verbreitet der Frauenfußball damals in Mexiko auch war, die Plätze, auf denen die Frauen spielten, hatten nichts mit den Spielverhältnissen in den großen Stadien des Landes zu tun, die damals noch ausschließlich dem Männerfußball vorbehalten waren. Frauen spielten auf Fußballplätzen mit einer Mischung von Sand und Geröll, die wegen zahlreicher anderer Nutzungen auf diesen Flächen oft auch noch mit Scherben übersät waren. Doch die meisten der Fußball spielenden Frauen in diesen Ligen waren ohnehin nicht sehr zimperlich. In Mexico City war es vor allem der Sport für die Migrantinnen und deren Töchter, die aus sehr prekären Verhältnissen stammend, mit ihren Familien das Land flüchteten, um sich in der Hauptstadt eine bessere Zukunft aufzubauen. Dazu gehören hauptsächlich Angehörige der indigenen Bevölkerung und der größten Bevölkerungsgruppe Mexikos, der sogenannten „Mestizen“, eine Bezeichnung für die Nachkommen aus Verbindungen von Indigenen, Weißen und den Nachkommen afrikanischer Sklaven, die heutzutage als rassistisch und abwertend eingestuft wird. Dies spiegelt sich auch in der häufig genutzten Bezeichnung „Morenitas“ für die Frauennationalelf Mexikos in dieser Zeit wider, als Bezug zu der Herkunft und Hautfarbe der meisten Frauen im Team. 

Die inoffizielle WM der Frauen in Mexiko stellte sich hinterher als großer Erfolg heraus. Anfangs, selbst als Mexiko bereits als Austragungsort feststand, hatte sich der mexikanische Fußballverband noch mit allen Kräften gegen diese Veranstaltung gewehrt. Gegen die aufkommende Euphorie in der Bevölkerung vor diesem Ereignis war jedoch kein Kraut gewachsen. Im Juli 1971 unternahm die mexikanische Frauennationalmannschaft zur Vorbereitung eine Reise zu Vorbereitungsspielen in Argentinien und Peru. Als sie mit einer Niederlage und einem Sieg nach Mexiko zurückkehrte, war die jubelnde Menschenmenge am Flughafen noch weitaus größer als ein Jahr zuvor. Das Land identifizierte sich in hohem Maße mit der Frauennationalelf. Die folgende inoffizielle WM der Frauen in Mexiko war zweifellos das bis zu dem Zeitpunkt größte Ereignis im Frauen-Fußball weltweit. Die Spiele wurden im Farbfernsehen übertragen und lockten große Zuschauermassen an. Doch trotz all dieser Begeisterung zeichnete sich für die Fußballerinnen Mexikos bereits vor dem Beginn dieser Spiele ab, dass diese überbordende Euphorie nur recht wenig mit ihrem Sport zu tun hatte. Das war ganz einfach daran abzulesen, dass die Berichterstattung über sie nur selten im Sportteil stattfand, sondern meist in den Spalten für die sogenannten Stars und Sternchen. Ob im Bild, Ton oder Text, die Spielerinnen sahen sich in der öffentlichen Darstellung in Mexikos Medien zumeist ausschließlich auf ihre körperlichen Merkmale reduziert dargestellt. 

Fußball gespielt wurde dennoch. Die Frauen der sechs Teams aus Argentinien, Dänemark, England, Frankreich, Italien und Mexiko traten in zwei Gruppen gegeneinander an. Das Eröffnungsspiel bestritt Mexiko vor 80.000 Zuschauer_innen in Estadio Azteca zur Überraschung vieler erfolgreich mit einem 3-1-Sieg über Argentinien. Die Argentinierinnen hatten Mexiko im Vorbereitungsspiel zuvor noch mit einer sehr rüden Spielweise deutlich in die Schranken gewiesen. Im Halbfinale bezwang Mexiko die Italienerinnen mit 2-1 und zog ins Finale gegen Dänemark ein, die sich ihrerseits im Halbfinale klar mit einem 5-0 gegen Argentinien durchgesetzt hatten. Die mexikanischen Spielerinnen nutzten diesen Moment der nationalen Euphorie rund um den Frauenfußball in ihrem Land umgehend dazu, gegenüber dem Verband auch finanzielle Forderungen zu stellen. Fast alle Frauen im Team hatten, aus prekären Verhältnissen stammend, trotz ihres Amateurstatus ihre Arbeit, das Studium oder gar die Schule hintangestellt und sich fast zwei Jahre nur dem Fußball im Nationalteam gewidmet. Obwohl der italienische Hauptsponsor der WM, Martini & Rossi aus Italien, alle Reisekosten sowie Spesen und Logis während des Turniers übernommen hatte, blieben Probleme finanzieller Art für viele mexikanische Spielerinnen nicht aus. Das Team versuchte eine gewisse Kompensation über eine Endspielprämie zu erreichen. Die Spielführerin Lupita Tovar und die Torhüterin Elvira Aracén bezifferten die Forderung des Teams gegenüber dem Verband auf zwei Millionen Pesos.

Der Empörung im Frauenfußballverband und in großen Teilen der Presse und der Öffentlichkeit war groß. Selbst die Spielerinnen Dänemarks äußerten in Interviews ihr Unverständnis über die Forderungen ihrer Endspielgegnerinnen. Finanzielle Forderungen seien des Amateursports unwürdig, wurde die Spielerin Inger Pedersson zitiert. Dem mexikanischen Team blieb nichts anderes übrig, als schnell wieder zurückzurudern. Elvira Aracén soll dazu gesagt haben, der Applaus der Massen sei ohnehin viel mehr wert als Pesos. Im Finale vor mehr als 115000 Zuschauer_innen im Estadio Azteca gab es dann viel davon aber trotzdem waren sie und ihr Team vollkommen chancenlos. Die 15-jährige, pfeilschnelle dänische Mittelstürmerin Susanne Augustesen hatte die 3-0-Niederlage Mexikos mit einem Hat-Trick nahezu im Alleingang besiegt. Dänemark wurde somit zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren Weltmeister im Frauenfußball. Der für diese Weltmeisterschaften üblicherweise verwendete Zusatz „inoffiziell“ skizziert das Problem dieses Höhenflugs des Frauenfußballs Anfang der 70er-Jahre sehr treffend. 

Die Weltmeisterschaft fand nicht mit dem Segen der internationalen Fußballverbände statt und war insbesondere der Fifa ein Dorn im Auge. Wer nach dem großen Publikumserfolg bei der WM in Mexiko geglaubt hatte, die Fifa und ihre Kontinentalverbände würden nun endlich auch den Frauenfußball in ihre Regularien integrieren, der sah sich getäuscht. Auch der mexikanische Fußballverband dachte überhaupt nicht daran, diese Erfolgswelle des Frauenfußballs für eine Aufnahme der Fußballerinnen in den Verband zu nutzen. Ganz im Gegenteil. Er agitierte gegen jegliche Bestrebungen die solches im Sinn hatten. So tickten auch damals schon mexikanische Männer. Der Machismo hatte wieder gesiegt. Die mexikanische Presse, die den Hype um den Frauenfußball-WM in Mexiko entscheidend mitgeprägt hatte, sekundierte diesen Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung auf perfide Art und Weise. Sie hatten die Frauenfußball-WM zuvor offensichtlich nur dazu genutzt, um Aufmerksamkeit und Geld zu generieren. Es ging bei Licht betrachtet niemals um die Würdigung des Frauensports im Sinne der Gleichberechtigung. Sie hatten aus der WM tatsächlich nur ein sexistische Klischees bedienendes Spektakel gemacht und gleich darauf kein Interesse mehr am Frauenfußball. Die in Italien ansässige FIEFF als Veranstalterin der inoffiziellen Weltmeisterschaften spielte in dieser Hinsicht auch keine rühmliche Rolle. Dass kommerzielle Interessen immer im Vordergrund standen, war nicht mehr zu übersehen. Als die FIFA und ihre Kontinentalverbände in den Siebzigerjahren danach verstärkt den Widerstand gegen alle Bestrebungen mobilisierten, den Frauenfußball zu fördern, war die Veranstaltung weiterer Weltmeisterschaften aussichtslos und für den Sponsor unattraktiv geworden. Es sollte danach noch weitere 20 Jahre bis 1991 dauern, bis die nächste und erste offizielle Weltmeisterschaft im Frauenfußball ausgetragen wurde. Die mexikanische Nationalelf der Frauen nahm erstmals 1999 wieder an einer Weltmeisterschaft teil und qualifizierte sich danach auch 2011 und 2015 für die Endrunde.

Die Popularität des Frauenfußballsports nahm in Mexiko in den Jahren nach 1972 merklich ab und spielte in der öffentlichen Wahrnehmung keine besondere Rolle mehr. Die Freude am Fußballspiel ließen sich die Mädchen und Frauen aber keinesfalls nehmen. Die erfolgreiche mexikanische Nationalelf hatte damals das Feuer für den Sport in einer ganzen Generation entfacht und der Frauenfußball erfreut sich, wenn auch im kleineren Maßstab als damals, in Mexiko bis heute großer Beliebtheit. 


Bei weiterem Interesse an der Geschichte und Entwicklung des Frauensports in Mittel- und Südamerika empfehle ich das Buch: A history of Women and Sports in Latin America, Brenda Elsey, Joshua Nadel, University of Texas Press, 2019

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