Vivat! Vivat! Bernard Dietz!

Bild: Imago

Am 22. März wird Bernard "Ennatz" Dietz 75 Jahre alt. Zu diesem schönen Anlass veröffentlichen wir nochmals das Interview, das wir vor drei Jahren für das Magazin "Zeitspiel" mit ihm geführt haben.

„Da kommst du her und da gehörst du hin!“

Müsste man eine perfekte Identifikationsfigur für den deutschen Fußball erfinden, käme kein Beckenbauer, kein Matthäus und schon gar kein Basler dabei heraus, sondern so einer wie Bernard Dietz. Ruhig, bescheiden, bodenständig, ehrlich und fair. Wir haben ihn dazu befragt, wie er zu dem geworden ist, der er als aktiver Fußballer war, danach als Trainer blieb und heute im Ruhestand immer noch ist. Ein absolutes Vorbild in vielfacher Hinsicht.

Herr Dietz, Sie sind dem MSV Duisburg nach ihrer aktiven Zeit immer treu geblieben und waren bis vor einigen Jahren auch in den Vereinsgremien sehr aktiv. Der Verein muss Ihnen wirklich sehr viel bedeuten.

Das kann man wohl laut sagen. Dem MSV verdanke ich so ziemlich alles, was ich in meinem Fußballerleben erreicht habe. Deshalb gehört der MSV untrennbar zu mir und ich zu ihm. Ich verpasse heute noch kein einziges Heimspiel. 12 Jahre in einem Verein zu spielen und den dann, nicht mal auf eigenen Wunsch, verlassen zu müssen, das war nicht einfach für mich. In Gelsenkirchen, auf Schalke, bin ich danach nie so richtig angekommen. Ich hatte schon zuvor häufig Angebote von anderen Vereinen bekommen, bei denen ich einiges mehr an Geld als beim MSV verdient hätte. Aber ich habe nie des Geldes wegen Fußball gespielt. 1975 war mir dann doch nach einem Tapetenwechsel zu Mute und ich überlegte, vielleicht zu Eintracht Frankfurt zu gehen, bei denen sich der Trainer Dietrich Weise sehr um mich bemüht hatte. Als das dann bekannt wurde, bekam ich die ganze Tragweite einer solchen Entscheidung für die Fans zu spüren. Da stand mir auf einem Parkplatz am Stadion eine komplette Familie samt Kindern heulend gegenüber und bat mich inständig, den MSV nicht zu verlassen. Das hatte mich mitten ins Herz getroffen. Dann habe ich nochmal eine Nacht drüber geschlafen und darauf den Frankfurtern wieder abgesagt. Ich dachte mir, dass kannst Du nicht machen. Da kommst du her und da gehörst du hin. Mein Wechsel zu Schalke nach dem Abstieg 1982 erfolgte nur auf ausdrücklichen Wunsch des MSV, da sie für mich selbst mit 34 Jahren noch ein paar Mark kriegen konnten. Die brauchten das Geld. Sonst wäre ich nicht gewechselt.

Eine solch kompromisslose Identifikation mit einem Verein ist heutzutage höchst selten. Hatte Franz Beckenbauer Recht, als er 1988 zu Ihrem Abschied vom aktiven Fußball sagte, so einen wie den Ennatz werde es nicht mehr geben?

Ach ja, der Franz. So einen wie ihn, wird es ja auch nicht mehr geben. Das waren früher ganz andere Zeiten. Der Fußball ist ja nicht der Mittelpunkt der Welt. Jeder versucht aus seinem Leben das Beste zu machen. Als Fußballer erfolgreich zu sein, ist mit harter Arbeit verbunden und der Fähigkeit sich in eine Gemeinschaft einzubinden. Wenn man sich selbst wichtiger nimmt als das Team, dann kann das nichts werden, mit dem Erfolg. Das habe ich als Jugendtrainer immer versucht, den Jungs zu vermitteln. Einige haben es kapiert, andere nicht. Jedem Menschen den gleichen Respekt entgegenzubringen und keine Unterschiede zu machen, das gehört auch dazu. Die Fußballjugend von heute kann sich ja kaum vorstellen, wie das früher für Kinder war. Ich kam mit 13 aus der Schule, habe eine Lehre als Schmied-Schlosser angefangen, mit 17 abgeschlossen und die ganze Zeit, bis zum Profi-Vertrag mit 22, neben der körperlich sehr harten Arbeit Fußball gespielt. Die Zeiten sind heute andere. So gesehen, wird es einen Fußballer wie mich wohl tatsächlich nie mehr geben. 


In der Fußballschule-Dietz in Ahlen bringen Sie heute noch Kindern das Kicken bei. Wie haben Sie denn als Kind angefangen gegen den Ball zu treten?

Auf der Straße natürlich, bei uns zuhause in Bockum-Hövel und das jeden Tag. In den Ferien haben wir sogar richtige Straßenmeisterschaften ausgespielt. Damals sind die Leute ja noch nicht in Urlaub gefahren. Konnte sich keiner leisten. Ein Bauer in der Nachbarschaft hatte uns eine Wiese, so etwa 30 mal 50 Meter als Bolzplatz überlassen. Zwei Pfosten in die Erde gerammt, eine Latte oben drauf genagelt. Das waren die Tore. Sechs Mannschaften, Sechs gegen Sechs und jeder gegen jeden. Morgens wurde Fußball gespielt und nachmittags ging‘s ins Freibad, mit alle Mann. Am Samstag gab es dann ein Endspiel zwischen den beiden besten Mannschaften. Ich erinnere mich noch gut, wie wir einmal Straßenmeister wurden. Wir hatten sogar einen Meisterteller. Das war eine runde Scheibe, aus Sperrholz ausgeschnitten. Da wurden kleine, viereckige Sachen draufgeklebt, Silberfolie drüber und fertig. Damit sind wir dann stolz auf dem Fahrrad durch die Nachbarschaft gefahren. Einer auf dem Lenker, einer auf der Stange, einer auf dem Gepäckträger und los ging’s. 

Das ist ja Fußballromantik pur. Und wie ging es dann weiter?

Von wegen Romantik. Das sollte man nicht verklären. Das waren für meine Eltern und viele andere Menschen harte Zeiten, so kurz nach dem Krieg. Trotzdem hatte ich eine sehr glückliche Kindheit, zu der eben auch der Fußball dazu gehörte.  Mit Zehn kam ich dann in die Knabenmannschaft beim SV Bockum-Hövel. Angebote für jüngere Kinder, wie heute die F-Jugend oder Bambini-Liga, gab es damals ja noch nicht. Das ich beim SV gelandet bin, habe ich einem Onkel mütterlicherseits zu verdanken. Es gab damals, Ende der Fünfzigerjahre, vier Vereine in Bockum-Hövel. Also den SV, den Spielverein, der zur damaligen Zeit schon hochklassig gespielt hat und dazu den Sportclub Arminia auf dem gleichen Niveau. Der SV hatte die Farben Blau-Gelb und die Arminia Grün-Weiß. Die anderen zwei kleineren Vereine waren eher in der Kreisliga unterwegs. Mein Onkel war bei den Blau-Gelben und so bin ich eben beim Spielverein gelandet und konnte dort meine ersten Schritte im Vereinsfußball machen. 

Das war offensichtlich eine gute Schule. Sie sollen ja anfangs ein sehr treffsicherer Stürmer gewesen sein.

Das stimmt, Abwehrspieler wurde ich erst viel später. Ich hatte das Glück, dass ich bereits mit 16 Jahren bei der ersten Mannschaft mittrainieren durfte. Die haben damals gesehen, da ist so ein Kleiner, den kann man ganz gut gebrauchen. Nach der A-Jugend, so mit 18 Jahren bin ich dann gleich in die erste Mannschaft gekommen. Landesliga haben wir damals gespielt. In der Saison 1969/70 habe ich dann in den ersten 10 Spielen ganze 19 Tore geschossen. Da wussten dann anscheinend alle, okay, da ist einer, den müssen wir uns mal genauer angucken. Ja und dann rief eines Tages der 1 FC. Köln an. War das eine Aufregung. Ich war ja damals FC Köln-Fan, wie mein Vater, der aus Köln-Mülheim stammt und nur wegen der Arbeit auf der Zeche nach Bockum-Hövel gezogen war. Ich war damals schon 22 und wenn man das mit heute vergleicht, ganz schön spät dran. Das hatte einfach drei, vier Jahre gedauert, bis andere Vereine auf mich aufmerksam wurden. Das war ja nicht selbstverständlich. Mich kannte ja von den großen Vereinen zuvor niemand. Selbst in der Jugend hatte ich nie in irgendeiner Auswahlmannschaft gespielt. Ich war denen immer etwas zu klein oder zu langsam oder sonst irgendwas. Und dann kam ausgerechnet der 1. FC Köln und hat mich zum Probetraining eingeladen. Dort spielten meine Idole Weber, Overath, Löhr und wie sie alle hießen. Das war unglaublich.

War das Vorspielen nicht so erfolgreich oder warum hat es dann mit der Karriere in Köln nicht geklappt?

Eins nach dem anderen. Die Probleme fingen ja schon mit dem Hinkommen an. Bis Köln sind es von Bockum-Hövel aus 130 Kilometer. Ich hatte ja kein Auto und dazu musste ich meinen Chef noch um Erlaubnis fragen. Damals habe ich ja noch als Schmied in Vollzeit gearbeitet. Der Chef war gnädig und bot mir an, die verlorene Arbeitszeit auch nacharbeiten zu können. Und glücklicherweise erklärten sich dazu einige Rentner unter den Fans in Bockum-Hövel bereit, mich mit ihrem Auto nach Köln zu fahren. Aber ehrlich gesagt, um beim FC vorzuspielen wäre ich damals sogar mit dem Fahrrad gefahren. Das war das Größte für mich. Wie man sich vorstellen kann, war ich vor dem ersten Training in der Umkleidekabine ganz schön aufgeregt. Zum ersten Mal die Spieler zu treffen, die ich sonst nur von der Sportschau kannte. Manglitz, Overath, Rupp und die ganzen Konsorten. Wolfgang Overath kam in die Kabine und fragte mich sofort, wer ich denn sei. Na ja, so und so und er antwortet darauf, na dann komm mal mit raus und zeig mir mal wie man Fußball spielt. Das ist ein guter Kerl und ich wurde sehr freundlich aufgenommen. Vier Tage habe ich dann mittrainiert. Der Trainer war damals Hans Merkle. Zum Abschluss bat er mich in sein Trainerzimmer und meinte, sie hätten einen guten Eindruck von mir gehabt und sie würden sich sehr bald wieder bei mir melden. Nach drei Tagen war der Traum vom FC Köln schon wieder ausgeträumt. Ich bekam einen Anruf vom Lüner SV, der damals in der Regionalliga spielte. Die Kölner wollten mich zwar haben, aber gleich wieder weiter nach Lünen ausleihen. Das wollte ich aber nicht. Ich hatte dazu noch Anfragen vom HSV, aus Osnabrück und schließlich vom MSV Duisburg bekommen. Den Meiderichern habe ich dann für ein Probetraining zugesagt. Dann ging das Ganze von vorne los. Ich musste mit Doppelschichten die Zeit dafür rausarbeiten und wieder stellte sich die Frage: Wie komme ich ohne Auto dahin? Das hat dann alles prima geklappt und schließlich wollte Duisburg mich dann verpflichten. Damals unterschrieb ich meinen ersten Profivertrag. 

Wie muss sich so einen Profi-Vertrag vorstellen? 

Darüber würden die Fußballer heutzutage vermutlich nur lachen. Es gab 1200 brutto pro Monat, in D-Mark natürlich. Dazu kamen dann die Einsatzprämien. 500 Mark für jedes Spiel, alle 10 Einsätze gibt’s 5000 Mark, so stand das im Vertrag. Ich weiß noch genau, wie ich meine ersten 10 Einsätze hinter mir hatte. Jetzt gibt’s wieder Geld dachte ich mir. Montagabends, nach dem Training, bin ich dann hoch, ins Geschäftszimmer und hab da angeklopft. Junge, wat haste denn auf dem Herzen, fragte mich der Geschäftsführer und ich erklärte ihm, dass ich jetzt doch nach 10 Einsätzen nun die 5000 Mark bekommen sollte. Der lachte und sagte, die hast du doch schon vorher gekriegt. Tatsächlich hatte ich bei Vertragsabschluss 5000 Mark erhalten, wusste aber nicht, dass ich die dann hinterher erst noch abarbeiten musste. Da war ich sehr enttäuscht, weil ich das Geld gut brauchen konnte. Ich fuhr ja immer noch jeden Tag mit meinem alten VW Käfer von Bockum-Hövel nach Duisburg.

Die Duisburger hatten Sie ja als Stürmer verpflichtet, wie kam es eigentlich dazu, dass sie dort sehr schnell als Verteidiger eine Legende wurden?

Das geschah eher zufällig. Wir hatten in der Verteidigung einige Verletzte als wir 1972 ein paar Freundschaftsspiele in Großbritannien ausgemacht hatten. Der Trainer fragte mich damals, ob ich mir zutraue, auch Linksverteidiger zu spielen. Kein Problem, dachte ich mir. Dann spielten wir gegen Dundee United, die mit starken Außenspielern und ihrem „kick and rush“ sehr gefährlich waren. Doch ich habe in der Verteidigung alles weggehauen, was ging. Die haben nur ein Tor gemacht. 1-1 ging‘s aus. Danach habe ich auch in Duisburg weiter links hinten gespielt und wenn Platz war, bin ich natürlich auch mit nach vorne. Tore wollte ich ja trotzdem schießen. Unter Willibert Kremer war ich dann endgültig vom Stürmer zum Verteidiger nach hinten durchgereicht worden. Das war damals eine Supertruppe, mit vielen jungen Spielern aus der eigenen A-Jugend. Wir konnten damals jeden schlagen, auch die Bayern.

Stimmt es eigentlich, dass Ihnen Gerd Müller vor einem Spiel mal einen Brief geschrieben hat, in dem er Sie bat, Sie sollten gefälligst nicht so hart gegen ihn spielen?

Den Brief gab es, aber den habe nicht ich bekommen, sondern Detlef Pirsig. Der war als Vorstopper sein direkter Gegenspieler und er hieß ja nicht umsonst der Eisenfuß! Gerd Müller musste da oft ganz schön einstecken und hat dann immer kräftig auf Bayrisch rumgeflucht. Deshalb schrieb er Pirsig tatsächlich diesen Brief, mit „Lieber Detlef, wir sind doch alle Sportskameraden … und so weiter, damit er ihn mal verschont. Das hat den aber nicht interessiert. Duisburg gegen Bayern, das war damals was. In meiner Zeit in Duisburg von 1970 bis 1982 habe wir die zuhause bis auf ein Unentschieden und eine Niederlage immer geschlagen. Gegen die Bayern waren wir zuhause eine Macht. Die haben sich ja kaum noch zu uns getraut. Schon in meiner ersten Saison 70/71 haben wir die Bayern in Duisburg am letzten Spieltag 2-0 geschlagen und Gladbach damit zum Meister gemacht. Die hatten ihr Spiel in Frankfurt hoch gewonnen. 

Neben ihrer beeindruckenden 12-jährigen Karriere beim MSV und danach noch einige Zeit auf Schalke waren Sie ja auch lange Zeit in der Nationalmannschaft und wurden sogar ihr Kapitän. Wie haben Sie das in Erinnerung?   

Das mit der Kapitänsbinde war Ende 1978. Damals war Sepp Maier Kapitän der Nationalmannschaft. Jupp Derwall war gerade Nationaltrainer geworden und hatte ihn dazu ernannt, und mich in einem kleinen Nebensatz zum Ersatzkapitän. Ich vergesse nie den Tag, als Derwall kurz darauf vor dem Testspiel gegen die Holländer in Düsseldorf beschloss, den Dieter Burdenski mal im Tor zu testen. Mir war im ersten Moment gar nicht bewusst, was das für mich bedeutete. Doch plötzlich wurde mir klar, dass wenn der Sepp nicht spielt, ich automatisch zum ersten Mal als Kapitän auflaufen würde. Da habe ich sofort zuhause angerufen und meiner Frau gesagt: Pack die Mutter ein und komm nach Düsseldorf, ich bin morgen der Kapitän. Meine Mutter war damals schon 78 Jahre alt und hatte noch nie ein Länderspiel von mir im Stadion gesehen. Deshalb wollte ich sie unbedingt dabeihaben. Damals dachte ich noch, dass die Kapitänsbinde auf dem Platz für mich eine absolute Ausnahme bleiben sollte. Ich glaubte, der Sepp Maier spielt bis er ungefähr Hundert ist und bleibt solange auch Kapitän. Ein Jahr später hatte er dann diesen schweren Autounfall und musste danach seine Karriere leider beenden. So wurde ich zum ersten Kapitän ernannt. Das war eine super Mannschaft damals und eigentlich wäre es egal gewesen, wer von uns der Kapitän war. 

Dann haben Sie mit dieser tollen Truppe dann ja auch gleich danach noch die Europameisterschaft gewonnen.

Ja. Wir hatten damals eine gute Mischung aus Jung und Alt, mit der alles möglich war. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung kurz vor der EM 1980 in Italien zu der alle Kapitäne der acht teilnehmenden Länder eingeladen und auch interviewt wurden. Als ich gefragt wurde, was wir uns mit der neu zusammengestellten Nationalelf zum Ziel gesetzt hätten, sagte ich denen, dass wir selbstverständlich da wären, um Europameister zu werden. Da haben die mich ganz komisch angekuckt. Doch für mich war das vollkommen klar. Wenn man dort nicht hinfährt, um zu gewinnen, kann man ja auch gleich zuhause bleiben.

Bei der EM 1980 gehörte Lothar Matthäus zu den Jungnationalspielern. Sie sollen ihn ein bisschen unter Ihre Fittiche genommen haben. Wie war das genau? 

Ach, das war nichts Besonderes. Wir älteren Nationalspieler hatten natürlich auch immer ein Auge auf die Jüngeren. Bei einem der Vorbereitungslehrgänge saß Lothar Matthäus mit mir nach dem Training im Bus und sah mir etwas unglücklich aus. Ich fragte ihn was los sei und er meinte der Trainer hätte ihm gerade mitgeteilt, dass er nun fest zum Kader für die EM gehöre. Mensch super, sagte ich zu ihm, du hast noch kein A-Länderspiel gemacht und bist schon bei einer EM dabei. Freu dich doch. Ja, das tue er ja auch, doch sein Problem sei nun, wie er seiner Freundin erklären sollte, dass das mit dem fest versprochenen Urlaub nun doch nichts werde. Das hat ihn wirklich mehr beschäftigt. Beim zweiten Spiel der EM gegen Holland wurde Lothar dann für sein erstes A-Länderspiel zum Schluss noch eingewechselt. Ich sah ihn beim Warmlaufen an der Außenlinie und dachte mir: Ach komm, es steht 3-0 für uns und der soll auch mal seine Chance bei der EM kriegen. Dann fasste ich mir mehrmals ohne besonderen Grund hinten an die Wade und signalisierte so dem Trainer, dass ich ausgewechselt werden wollte. Lothar kam für mich rein und was macht der Kerl? Er hat gleich einen umgehauen, Elfmeter für Holland und schon stand es nur noch 3-1. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. 

Europameister sind Sie dann letztendlich mit einem 2-1 über Belgien doch noch geworden. Bei der Pokalübergabe gab es einen kleinen Fauxpas mit der belgischen Königin Fabiola. Würden Sie auch uns diese Anekdote nochmal erzählen.

Ja, die Fabiola, das war mir damals hinterher ziemlich peinlich. Bis es nach dem Endspiel endlich zur Pokalübergabe kam, verging einige Zeit und wir mussten da an einer langen Schlange von wichtigen Leuten vorbei und jedem die Hand schütteln. Ich als Kapitän voran. Fast am Schluss stand da noch die belgische Königin und plötzlich sah ich auch den Pokal. Da war für mich das Händeschütteln vorbei und ich habe mir gleich den Pott geschnappt. Die Königin Fabiola hatte mir zuvor noch die Hand entgegengestreckt und ich habe sie einfach so stehen lassen. Das habe ich in dem Moment gar nicht gemerkt, da ich nur auf den Pokal fixiert war. Erst hinterher, auf Fernsehbildern, habe ich dann gesehen, was ich da angerichtet hatte. Aber ich denke, die Fabiola war mir deswegen nicht allzu böse.

Herr Dietz, noch eine letzte Frage: Sie waren nach ihrer aktiven Karriere als Fußballer auch als Jugend- und Amateurtrainer tätig und hatten immer ein gutes Händchen für die jüngeren Spieler. 1999 waren Sie beim VfL Bochum sogar aushilfsweise als Cheftrainer mit den Profis in der 2. Liga sehr erfolgreich. Das beendeten Sie dann sehr abrupt und sparten damals nicht mit Kritik an ihren Spielern. Was war da genau vorgefallen?

Ich hatte ja anfangs schon mal erklärt, dass es für junge Fußballer harte Arbeit bedeutet, in diesem Beruf erfolgreich zu sein und dass man nur im Kollektiv vorankommt. Diesen Anspruch habe ich immer an meine Spieler gestellt. Ich war in der Jugend glaube ich nicht besonders talentiert und habe mir mit viel Training, Einsatz und Kampf meine Karriere selbst erarbeitet. Als A-Jugendtrainer beim VfL habe ich genau das den Jungs vermittelt. Wer Profi werden will muss etwas dafür tun. Nichts kommt von allein. Spieler aus dieser Zeit, wie etwa Frank Fahrenhorst und Paul Freier haben das perfekt verinnerlicht und ihren Weg gemacht. Andere nicht. Als ich Cheftrainer bei der Profi-Mannschaft wurde gab es damals bei Bochum ein paar Spieler, die nicht kapiert haben, dass es nur mit Arbeit geht und ständig aus der Reihe tanzten. Ich nenne sie mal Möchtegernprofis. Die Zusammenarbeit mit solchen Leuten funktioniert nicht und wenn man den Anspruch hat, mit einer Mannschaft in die erste Liga aufzusteigen, schon mal gar nicht. Und wenn man von den Spielern nicht das zurückbekommt, was man selbst gibt, hält man das nicht lange aus. Man muss sich im Fußball zu hundert Prozent mit dem identifizieren können, was man tut. Wenn das nicht mehr geht, lässt man es besser bleiben. Nur aus diesem Grund habe ich damals bei Bochum als Cheftrainer aufgehört. 
 

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