Manni, der Obmann

Was dabei rauskommt, wenn man sich in einer Kneipe auf Juist mit einem am Tresen unterhält der Manfred Krause heißt und aus Wattenscheid kommt …

Manfred Krause ist ein Urgestein der SG Wattenscheid 09. Von 1969 bis 1992 war er dort Obmann und hat den Verein in seinen erfolgreichsten Zeiten von der Regionalliga West über die zweite Bundesliga bis hin zum Aufstieg in die erste Bundesliga aktiv begleitet. Da gibt es selbstredend viel zu erzählen und deshalb haben wir nachgefragt.

Herr Krause. Obmann hört sich nach uralten Fußballzeiten an. Was genau haben Sie denn damals bei Wattenscheid gemacht?

Ja, was macht so ein Obmann? Heutzutage gibt es den Beruf vermutlich gar nicht mehr, aber früher hatte jeder Fußballverein einen Obmann. Ich war bei Wattenscheid für alles Organisatorische zuständig, was die Profimannschaft und ihren Spielbetrieb betraf. Von den Spielerverträgen über die Gehaltszahlungen bis hin zu den Hotelbuchungen bei Auswärtsspielen und der Bus musste ja auch von irgendjemand bestellt werden. Hinzu kamen die Schiedsrichterbetreuung an Spieltagen und was sonst noch so während des Spiels rund um die Ersatzbank zu organisieren war. Als Obmann war ich oft auch der Ansprechpartner für die Sorgen und Probleme der Spieler. Wenn da mal jemand aufs Amt musste oder in privaten und finanziellen Dingen Rat suchte und solche Dinge. Heute ist da in einem Fußballverein vermutlich eine ganze Abteilung dafür zuständig.

Klingt nach einem Fulltime-Job. Wie sind Sie denn überhaupt dazu gekommen?

Oh, da muss ich etwas ausholen. Früher hatte ich in Wattenscheid ein Möbelgeschäft. Irgendwann, es muss so Mitte der Sechzigerjahre gewesen sein, stand da plötzlich der Klaus Steilmann im Laden und wollte bei mir Möbel für die neue Vereinsgeschäftsstelle von Wattenscheid 09 kaufen. Der war ja damals schon längst eine große Nummer im Verein. Den kannte jeder. Als es um die Bezahlung ging sagte ich ihm, dass er die Möbel ganz umsonst bekommen könnte. Da hat er mich erst mal ganz komisch angeguckt. Wie umsonst? Als ich ihm erklärte, dass er einfach im Gegenzug dafür seine Spieler zum Möbelkauf in meinen Laden schicken sollte, hat er gleich kapiert, worum es mir ging. Der Steilmann war Geschäftsmann durch und durch.

Und die Spieler haben Ihnen dann gleich die Türen eingerannt?

Nicht sofort, aber nach und nach haben dann etliche bei mir eingekauft und so ergab sich eine engere Bindung an den Verein und die Spieler. Da sind dann auch ein paar Freundschaften daraus entstanden. Eines Tages kam dann der Mannschaftskapitän Dieter Mietz zu mir ins Geschäft und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, den Posten des Obmanns im Verein zu übernehmen. Mein Vorgänger war einer vom ganz alten Schlag und bei den Jungs nicht besonders beliebt. Und weil der bald in den Ruhestand ging, brauchten sie jemand Neues. Ich habe zunächst abgelehnt, da ich ja vom Fußballgeschäft im Grunde genommen eigentlich nicht so viel verstand. Doch die Jungs und der Verein ließen nicht locker und sie sagten mir, dass sie mir das Nötigste dann schon beibringen würden. Und so bin dann 1969 Obmann bei Wattenscheid 09 geworden und blieb es danach noch 23 Jahre lang. Klingt alles etwas verrückt, aber ich habe den Schritt niemals bereut. Mein Möbelgeschäft habe ich dann 1975 verkauft und neben der Tätigkeit im Verein eine Versicherungsagentur aufgebaut. Das ließ sich besser miteinander vereinbaren.

Klaus Steilmann war dann ja damals praktisch ihr Boss. Sind Sie gut mit ihm ausgekommen? Er soll ja nicht immer der Einfachste gewesen sein.

Alles bestens! Ich hatte niemals echte Probleme mit ihm. Solange ich dabei war. Wir haben uns immer gut verstanden. Das mussten wir ja auch. Schließlich saßen wir jedes Wochenende beim Spiel zusammen auf der Trainerbank. Und auch das Finanzielle im Verein mussten wir zusammen regeln. Das mit den Spielergehältern habe ich zwar meistens mit seinem Steuerberater besprochen, aber wenn es um Sonderprämien zahlen ging, dann hat er das mit Bargeld persönlich geregelt. Großer Briefumschlag, einige Hunderter drin und dann hieß es – ‚Hier Manni, verteil das an die Spieler, haben sie sich verdient. Aber nur wenn wir gewinnen‘. So lief das oft ab. Da ließ sich der Klaus nicht lumpen. Später, als es nicht mehr so gut lief, wurde er ja oft kritisiert. Ob zurecht, das kann ich nicht beurteilen, da war ich schon nicht mehr dabei. Doch wenn man ehrlich ist, Wattenscheid 09 wäre ohne sein Geld und vor allem ohne sein großes persönliches Engagement niemals zu dem Verein geworden, der es bis in die Erste Liga geschafft hat. Wir haben ja dann zuhause sogar die Bayern geschlagen. Eine super Truppe, damals. Klaus Steilmann hatte auch immer ein gutes Gespür für neue Spieler, die uns für eher kleines Geld schnell weiterhelfen konnten.

Gehörte der Argentinier Carlos Babington 1974 etwa auch in die Kategorie ‚kleines Geld‘?

Nein, auf gar keinen Fall. Das war eine ganz verrückte Geschichte. Das war so: Während der WM 1974 traf ich Klaus Steilmann im Beckmannshof (ursprüngliches Stadion der SG Wattenscheid 09), um mit ihm etwas über die Jugendabteilung zu besprechen. Er war dann ganz Feuer und Flamme für das WM-Spiel der Argentinier gegen Italien am Vortag. Es ging 1-1 aus und Klaus war der Meinung, dass ein gewisser Carlos Babington der beste Mann auf dem Platz gewesen sei. Der hatte die Vorlage für den Führungstreffer Argentiniens durch Houseman geliefert. Manni, sagte er, den Babington, den kaufen wir! Ich dachte sofort, jetzt dreht der Alte aber komplett durch. Anfang der Siebziger war es ja noch fast unmöglich, überhaupt einen Spieler aus Südamerika zu verpflichten. Schon gar nicht in der Qualität. Die südamerikanischen Spieler wurden damals frühestens nach Europa verkauft, wenn die Ende Zwanzig und schon fast in Rente waren. Und dass die dort Schlange gestanden wären, um noch einmal in ihrem Leben bei Wattenscheid zu spielen, davon war ja auch nicht auszugehen. Aber irgendwie hat Klaus Steilmann das dann doch tatsächlich hingekriegt.

Wie hatte er das denn angestellt?

Die genauen Details oder selbst den Kaufpreis hatte er mir damals nicht verraten. Also weiß ich es bis heute nicht genau. Es muss aber um sehr viel Geld gegangen sein, ansonsten hätte er es mir erzählt. Klaus Steilmann fuhr zu der Zeit jedes Jahr nach Südfrankreich in den Urlaub. Sehr luxuriös ging‘s da wohl zu. Und dort hatte er anscheinend jemanden kennengelernt, der gute Kontakte zu Babington und seinem argentinischen Heimatverein Huracán hatte. So muss das irgendwie abgelaufen sein. Als der junge Kerl aus Argentinien dann plötzlich tatsächlich in Wattenscheid vor mir stand, mochte ich es kaum glauben. Ich habe dann sogar nur für ihn einen Spanisch-Sprachkurs bei der Berlitz-Schule gemacht, damit ich wenigstens das Wichtigste mit ihm besprechen konnte. Und kaum war er da, wollte er dann gleich seine damalige Freundin Alicia heiraten. Und meine Frau und ich wurden als Trauzeugen verpflichtet. Carlos und Alicia wurden in den folgenden vier Jahren zu guten Freunden. Ihr erster Sohn ist noch in Deutschland geboren und ein echter Wattenscheider. Wir haben immer noch Kontakt zueinander und schreiben uns zu Geburtstagen und Festtagen gegenseitig. Trotz allem, vom Fußball her war Wattenscheid wohl eine Nummer zu klein für Carlos. Wir hatten zwar mit beispielsweise Lothar Kobluhn, Ewald Hammes und Werner Kontny noch weitere Top-Spieler und Kalli Feldkamp war ja kein schlechter Trainer, aber es fehlten die Erfolge. Und an einen Aufstieg in die erste Bundesliga brauchten wir damals nicht mal zu denken. Hätten wir Hannes Bongartz zuvor nicht für viel Geld nach Schalke verkauft, dann hätte das vielleicht eher geklappt.

Karl-Heinz Feldkamp ist eine Trainerlegende. Und bei Wattenscheid 09 fing alles an. Wie kam es denn dazu?

Kalli kam 1971 von Rot-Weiß Oberhausen zusammen mit unserem neuen Cheftrainer Werner Stahl zu uns und hat anfangs die zweite Mannschaft trainiert. Stahl hatte kein glückliches Händchen mit den Profis und als er den Stürmer Gerd Haselhoff trotz einer Verletzung auf den Platz schicken wollte und der sich aber weigerte, musste Werner Stahl dann gehen. Klaus Steilmann wollte dann, dass Fips Schulte, unser altgedienter Torwart, den Trainerposten bekommt. Der Schulte hatte aber nach fünf Spieltagen schon die Nase voll – Lasst mich bloß in Ruhe mit euren Profis – und so standen wir ganz ohne Trainer da. Der Werner Stahl rief mich dann an und fragte mich, was wir denn nun wohl so ganz ohne Cheftrainer machen wollten. Keine Sorge, habe ich ihm gesagt, wir haben doch einen Trainer. Wir ziehen einfach Karl-Heinz Feldkamp nach oben zu den Profis. Der kann auch was. Schließlich stand der mit der zweiten Mannschaft ungeschlagen an der Tabellenspitze in der Verbandsliga. Und so wurde Kalli Feldkamp dann Trainer bei den Profis. Und was für einer. Mit ihm wären wir 1973 um ein Haar von der Regionalliga in die Bundesliga aufgestiegen und haben im DFB-Pokal Schalke und Hertha rausgeschmissen. Kalli konnte die Spieler begeistern. Aber 1975 war dann schon wieder Schluss mit Kallis Offensivfußball, als er dann zu Gütersloh wechselte. Klaus Steilmann war unzufrieden und wollte was Neues und setzte den Helmut Witte auf die Bank. Der galt damals auch als großes Talent, konnte das bei uns aber nie so richtig zeigen.

Apropos großes Talent. Da müssen wir natürlich auch über Hannes Bongartz reden. Der spielte damals vermutlich eine wichtige Rolle bei Kallis Offensivfußball.

Das kann mal wohl so sagen. Den Hannes haben wir 1971 vom Bonner SC geholt. Dass der bei uns gelandet ist, war aber reiner Zufall. Ich hatte damals am Telefon mit den Bonnern nochmals über die Ablösesumme beim Wechsel von Rudi Klimke verhandelt. Ein guter Mann. Den hatten wir für unsere Abwehr verpflichtet. Nachdem wir das mit dem Klimke eingetütet hatten, fragte mich der Vorsitzende vom Bonner SC, ob wir eventuell noch Interesse an einem jungen Mittelfeldspieler hätten, der unbedingt weiter in der Regionalliga spielen möchte. Die Bonner waren ja in der Saison zuvor abgestiegen. Wenn wir noch 5000 Mark drauflegen könnten, würden sie den gleich mit nach Wattenscheid schicken. 5000 Mark war damals sehr günstig für einen Spieler. Deshalb haben wir sofort Ja gesagt und nahmen Hannes Bongartz unbesehen unter Vertrag. Das stellte sich schnell als absoluter Glücksgriff heraus. Hannes war zwar körperlich nicht der Stärkste, aber von Beginn an fast immer in der Mannschaft und er spielte überragend. Es war ja klar, dass wir den nicht allzu lange halten konnten. Schalke hat dann 1974 für den Jungen ganze 880000 Mark hingelegt. Kein ganz so schlechtes Geschäft für Wattenscheid. Die Schalker sollen ja damals nur wegen dem Bongartz-Kauf sogar ihre Eintrittspreise um eine Mark erhöht haben. Darüber hat der ganze Kohlenpott gelacht.  Aber als der Lange weg war, lief es dafür bei uns nicht mehr so rund.

Der Trainer Hannes Bongartz steht wie kein anderer für die erfolgreichste Zeit der SG Wattenscheid 09 Anfang der Neunzigerjahre. Sie waren die ersten Jahre noch dabei. Wie haben Sie ihn als Trainer erlebt?

Hannes war als Trainer genauso ehrgeizig wie als Spieler. Dazu mit viel Köpfchen und guten Ideen. Für mich war es anfangs etwas ungewohnt, da ich ihn ja noch als Jungspund in Erinnerung hatte. Und plötzlich gab er die Kommandos. Die Erfolge mit Hannes als Trainer haben auch mit seiner Zeit in Kaiserslautern zu tun. Da war er ja bis zu seiner Verletzung als Spieler auch sehr erfolgreich und konnte dazu dort bei seiner ersten Trainerstation wichtige Erfahrungen sammeln. Dort ist er gereift. Und wenn er den Streit mit dem Wuttke nicht gehabt hätte, wäre er wohl bei Lautern geblieben. Dass wir mit ihm als Trainer dann gleich in seiner ersten Saison sensationell in die erste Liga aufgestiegen sind, liegt vor allem daran, dass er eine gute Truppe hatte. Die konnte nämlich seine, damals noch ziemlich moderne Art des Fußballs, überhaupt spielen. Auch dass mit der Viererkette hat bei uns Klasse funktioniert. Das war ja auch so eine Bongartz-Spezialität. Aber wir hatten ja auch keine andere Wahl, denn Verteidiger, die wenigstens halbwegs als Libero und Vorstopper zu brauchen gewesen wären, die hatte Wattenscheid damals nicht.

 

Aber dafür einen Sturm, für den sich nach dem Aufstieg die halbe Bundesliga interessierte.

Das stimmt. Uwe Tschiskale und Mucki Banach haben damals getroffen wie sie wollten. Tschiskale wurde mit 22 Toren Torschützenkönig in der Zweiten und ich glaube Mucki hatte kaum weniger Tore. Den kannte der Tschiskale aus seiner Zeit bei Preußen Münster und hat ihn zu uns gelotst. Ich habe ihn dann ein bisschen unter meine Fittiche genommen. Irgendwann hat Mucki mich dann im Spaß nur noch Papa genannt. Tschiskale und Banach haben Wattenscheid letztendlich mit ihren Toren groß gemacht. Ich vergesse nie den letzten Spieltag zuhause gegen Hertha mit der Aufstiegsfeier. Nach Tschiskales 5-1 war da kein Halten mehr. Die Fans kamen trotz strömenden Regens von den Tribünen herunter und standen schon vor dem Abpfiff fast am Spielfeldrand. Das haben die beim DFB damals zwar noch nicht so eng gesehen, aber wir hatten trotzdem Angst, dass das Spiel noch abgebrochen werden könnte. Ist aber nicht passiert. Die Vizemeisterschaft und der Aufstieg waren für mich auch so etwas wie ein gelungener Abschluss als Obmann. Kurz darauf habe ich ja dann bei Wattenscheid aufgehört. In der Ersten Liga waren ja plötzlich ganz andere Funktionäre gefragt.

Herr Krause, Sie leben ja nun schon viele Jahre im Ruhestand auf der Nordseeinsel Juist. Haben Sie noch viel Kontakt zu ihren ehemaligen Weggefährten bei Wattenscheid 09?

Selbstverständlich. Ich stehe noch mit vielen Spielern aus der Zeit per Telefon im Kontakt und Hannes Bongartz war erst im vorletzten Jahr mit seiner Frau noch für eine Woche zu Besuch bei mir. Und als ich vor ein paar Jahren meinen Achtzigsten auf Juist gefeiert habe, kam gleich eine ganze Truppe von ehemaligen Spielern nach Juist. Uwe Tschiskale hatte das glaube ich mit einigen anderen zusammen organisiert. Das hat mich natürlich sehr gefreut. Ist ja auch für die Jungs alles schon über 30 Jahre her. Wir hatten jedenfalls mächtig Spaß zusammen.

Und der Verein hat ihnen bestimmt zum Achtzigsten einen anständigen Frühstückskorb auf die Insel geschickt. Oder nicht?

Von wegen. Das wäre mir auch gar nicht so recht gewesen. Über manches in der Vereinspolitik kann ich schon seit Jahrzehnten nur noch mit dem Kopf schütteln. Und irgendwann heißt es doch überall: Aus den Augen, aus dem Sinn. Und dann kommt so etwas dabei raus, wie vor einem halben Jahr. Da ich ja schon seit langer Zeit hier auf Juist lebe und kaum noch in Wattenscheid bin, wollte ich nun endlich auch meine Vereinsmitgliedschaft kündigen. Das hat dann aber da in der Geschäftsstelle bei Wattenscheid etwas gedauert, bis die darauf reagiert haben. Schließlich haben sie mir eine Bestätigung geschickt und dazu die ganzen Jubiläumsurkunden und Anstecknadeln für langjährige Mitgliedschaft der letzten Jahrzehnte. Die kriegt man ja alle paar Zig-Jahre. Da musste ich doch lachen. Kommt wohl nicht so oft vor, dass jemand nach mehr als fünfzig Jahren seine Mitgliedschaft noch als Lebender kündigt. Ich glaube sogar, die hatten nicht die geringste Ahnung wer ich bin, und dass ich in ihrem Verein über zwanzig Jahre lang als Obmann gearbeitet habe. Aber damit kann ich ganz gut leben.

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