Wenn Sportarten verschwinden

Nur eine kleine Atempause. Etablierte Sportarten werden nicht verschwinden, der Fußball gleich gar nicht. Nutzen wir die Zeit für einen gemütlichen Spaziergang über den Friedhof der ausgestorbenen Sportarten. Gar nicht so traurig dort.

Den Fußball wird es nicht erwischen. Höchstens das Fußballbusiness, aber nur ein bisschen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass sich in den nächsten Wochen das Geld der Gönner und Investoren schneller auflösen wird als sonst im Fußballzirkus üblich. Die üblichen Fehleinkäufe und Trainerwechsel können sich die Vereine sparen (alle außer Hedda BSC). Das Geld verschwindet auch so.

Macht aber nichts. Die Fans werden es überleben - und auch die Vereine. Irgendwie. Bereits in Kürze werden neue Gönner gönnen und frische Investoren erkoren. Dazwischen liegt im schlimmsten Fall eine Insolvenz, aber unter Umständen eine, die Gutes mit sich bringt. Karlsruhe, die Stadt der Fußballpioniere, wird möglicherweise mit leerer Kasse vorangehen. Begleitet von Zwischenrufen aus Stuttgart, wo man in der absichtlichen Zahlungsunfähigkeit des Lieblingsgegners eine grobe Unsportlichkeit erkennt. Da gönnt man seinem ärgsten Feind nicht einmal die Insolvenz.

Bleibt die Frage, was eigentlich passieren müsste, damit einer Sportart komplett das Licht ausgeht. So richtig aus, die athletische Maus. Der Fußball versucht sich zwar seit Jahren daran. Doch scheitert immer wieder. Selbst die scheinheiligsten Wohltäter, die abgehobensten Hauptdarsteller und alle tiefenkorrupten Verbandsmeier zusammen schaffen es nicht, das Spiel endgültig abzumurksen. Nein, Fußball ist multiresistent. Wenn Sportarten sterben, dann an banaleren Dingen. Eine sporthistorische Betrachtung nennt vor allem drei Ursachen für sportliches Artensterben: Erstens Grausamkeit, zweitens Gefahr und drittens Lächerlichkeit. Nutzen wir also die aktuelle Atempause, um auf die Disziplinen zu schauen, die komplett von der Bildfläche verschwunden sind.

Grausam und gefährlich

Spricht man heute von tierischem Vergnügen, liegt der Spaß selten auf Seiten der Tiere. Früher war das nicht besser – ganz im Gegenteil. Man atmet förmlich auf, dass Sportarten wie Aalziehen, Schweinestechen, Katzenkopfstoßen oder Fuchsprellen zur Gänze von der Sportgeschichte verschluckt wurden. Diese und andere Grausamkeiten wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts von gut situierten Kreisen als leichte Unterhaltung vor dem Nachtmahl veranstaltet. Aus heutiger Sicht erscheint sogar gerecht, dass selbst die berühmtesten Sieger vollständig im Orkus der Geschichte verschwunden sind. Lassen wir diese Sportarten ruhen, sie haben es verdient, auch das Goldfischschlucken.

Ein zweiter, überraschend häufiger Grund, der zum Aussterben von Sportarten führte, ist die pure Lebensgefahr. Tatsächlich blieb manch aufstrebender Disziplin die weitere Popularität versagt, weil die Athleten ihren Überlebenswillen wieder entdeckten. Sobald einer Disziplin das Etikett "häufige Todesfälle" anhaftete, geriet ihr Fortbestand in Gefahr. Beispielsweise beim Ballonspringen. Mit einem Heißluftballon im Rücken lassen sich zwar große Sätze machen, aber auch totale Bruchlandungen aus großer Höhe. Der Superstar der Sportart beendete Karriere und Leben anlässlich eines Sprunges unter einer Hochspannungsleitung. Ballonspringen, das Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts populär war, sollte sich nicht mehr von diesem Stromschlag erholen. Auch Wasserfallreiten und Feuerwerksboxen starben gemeinsam mit ihren Athleten. Ähnlich auch beim Pfeil-und-Bogen-Golf. Die durchaus anmutige Spezialdisziplin verschwand in den 1970er Jahren. Die permanente Gefahr, arglose Mitspieler auf dem Bogengolfplatz zu perforieren, nagte auf die Dauer am Ansehen der Wettbewerbe.

Einfach lächerlich

Ja, es gab auch schon Breiwettessen. Und es war durchaus verbreitet. Übrigens mit dem zusätzlichen Schwierigkeitsgrad, dass der Brei heiß serviert wurde. Doch diese und andere Jahrmarktspiele starben eines frühen Todes. Ähnlich erging es dem Zentrifugalkegeln, einer Mischung aus Minigolf und Kegeln am Ende des 19. Jahrhunderts. Nur wenig übrig geblieben ist auch vom Pedestrianismus, dem einfachen langen Gehen. Um die vorvorige Jahrhundertwende war das ausdauernde, aber gemäßigte Langwandern ein ernst zu nehmendender Wettkampfsport geworden. Heute im Zeitalter der Geher, Ultramarathonisten und Triathleten würden klassische Pedestrianisten putzig wirken. Auch das menschliche Telefonzellenstopfen sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Die rein räumlich wenig anspruchsvolle Disziplin, eine Kontaktsportart von nachgerade brutalstmöglicher Enge, wurde in den 1950er-Jahren in Südafrika populär. Leider ging dem Quetsch-Boom bald die Luft aus. Doch es gab auch ernste, gar olympische Wettbewerbe, die an purer Lächerlichkeit zugrunde gingen. Im Jahr 1900 war Hindernisschwimmen olympisch, aber das Wasserklettern und Drunterdurchtauchen mutete stets beliebig an. Nichts, das den Menschen als ernstzunehmende Disziplin erschien.

Tatsächlich trauern Expertinnen und Experten nur wenigen Sportarten hinterher. Vielleicht mit einer Ausnahme: dem unvergesslichen Ski-Ballett. Wer unter den Wintersportfreaks und Medaillenzählern erinnert sich nicht an die wundervolle Skiballetteuse Suzy Chaffee? Dieses Biege- und Rhythmuswunder, das in den Siebzigern die Hänge dominierte, die sonst als Übungshügel für die Skibambinis ausgewiesen wurden. Unvergessen auch die Grazie von Alan Schoenberger, insbesondere sein magischer Moment, die Kür zu Bachs Menuett in G-Moll, aufgeführt bei der Saisoneröffnung 1975 in Vermont. Das Goldpaar Torvill-Dean erschien Jahre später nur als preisgünstiger Abklatsch auf Eis.

Es ist wichtig, sich an diese grandiosen Sporthöhepunkte zu erinnern, gerade in einer athletischen Krisensituation wie der heutigen. Von den modernen Bezahlsender werden solch wertvolle Reminiszensen ignoriert, die früher so lebendig waren. Sportliches Kommerz-TV repetiert nur die übliche Massenware. Die echten Highlights, wie zum Beispiel die Kür von Christin Rossi bei den Winterspielen in Calgary (Demonstrationswettbewerb) geraten dagegen in Vergessenheit.

Bitte Musik. Danke. Viel Vergnügen
Calgary 1988

Buchempfehlung: Edward Brooke-Hitching. Enzyklopädie der vergessenen Sportarten, Verlagsbuchhandlung Liebeskind 2016. Danke an den Sportskameraden Frank Eppler für den Hinweis auf dieses epochale Werk.

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